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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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bestimmte.
    Als die Mauern fast die Höhe der Steinplatte erreicht hatten, befahl Siggeir, die Arbeit zu unterbrechen. Die große Schar seiner Gefolgsleute versammelte sich um ihn. Dann trat er zu den Wälsungen. Sigmund machte sich auf einen Tritt gefaßt, gegen den er sich nicht wehren konnte, aber der Drichten blickte nur auf sie herab. Die Jahre und sein Leid hatten Falten wie tiefe dunkle Narben in die hohe Stirn gegraben, und sie durchzogen das schmale, versteinerte Gesicht wie ausgetrocknete Flüsse. Unbewegt starrte er auf die Männer, die seine Söhne getötet hatten.
    »Jetzt werdet ihr dafür büßen, daß ihr den geweihten Hain mit Blut geschändet habt. Mit eurem Tod wird auch mein Unglück sterben und das Leben meiner Söhne und all derer gerächt sein, die durch euch gefallen sind«, rief er mit weithin hallender Stimme. »Ihr solltet die Götter verfluchen, die euch gegen Feuer und Eisen unverwundbar gemacht haben. In diesem Grab werdet ihr langsam verhungern. Morgen bei Sonnenuntergang ehren wir unsere
    Toten. Wir werden sie feierlich auf dem Scheiterhaufen verbrennen, damit sie von unseren Ahnen als Helden aufgenommen werden.«
    Siggeir schwieg und starrte triumphierend auf Sigmund. »Ein böser Zauber muß dich damals aus den Fußblöcken befreit haben, Sigmund. Aber du und dein Wolfskind werdet diesmal nicht entkommen.« Mit einer schnellen Bewegung zog er das Schwert aus der Scheide. Der Kristall blitzte im Licht, als Siggeir feierlich rief: »Dieses Grab soll für alle Zeiten meinen Sieg über die Wälsungen bezeugen.
    Das Urteil der Götter ist gefällt: Unter diesen Steinen sterben die letzten Wälsungen, und das Schwert gehört mir, dem Ingling, und all seinen Erben!«
    Sigmund wartete, ob Sinfjotli sagen würde, er sei Siggeirs Sohn, aber der Junge schwieg. Er ist ein echter Wälsung, dachte Sigmund, und der Gedanke war wie ein wärmender Funke in seinem gefühllosen Körper.
    Siggeir winkte zwei seiner Gefolgsleute herbei -starke, schwarzhaarige Männer mit dunkler Haut wie Römer. Die beiden packten Sinfjotli und hoben ihn über die Mauer. Er fiel mit lautem Eisengeklirr auf den harten Boden, und die Männer näherten sich Sigmund. Sie trugen Sigmund zur Mauer und warfen ihn mit Schwung darüber. Sigmund gelang es gerade noch, sich etwas seitwärts zu drehen, um den Sturz abzufedern, bevor er auf dem nassen schlammigen Boden landete. Die Wucht des Aufpralls nahm ihm den Atem. Die dicke Steinplatte teilte das Grab in zwei Kammern. Auf der anderen Seite des Felsens hörte er Sinfjotli röcheln und husten. »Verschließt das Grab«, befahl Siggeir. Sigmund hörte die schwerfälligen Schritte der Männer im Schlamm, die damit begannen, die obere Öffnung mit Holzbalken und Steinen zu verschließen. Später würden sie noch Erde darüber häufen, bis das Grab nur noch ein Erdhügel war. Im Augenblick bot die Mauer Schutz vor dem eiskalten Wind. Sigmund und Sinfjotli würden nicht auf der Stelle erfrieren. Sigmund bewegte rhythmisch Füße und Hände, um das Blut in Gang zu halten, und bereitete sich auf das vor, was kommen mochte.

    *

    Siglind lief in dem großen Vorratsraum auf und ab. Von draußen drangen die Geräusche der Knechte herein, die die Steinkammer bauten. Als das Hämmern und Klirren verstummte, hörte sie die Stimme ihres Mannes, der Sigmund und Sinfjotli bei lebendigem Leib einmauern ließ. Dazu, so dachte sie, hat mein ganzer Kampf geführt?
    Sie setzte sich und schlug die Beine übereinander, legte sich das dicke Wolltuch um die Schultern und begann, langsam und tief zu atmen, wie Sigmund es von dem Erulier gelernt und sie es in ihren Träumen miterlebt hatte. Die Wächter draußen redeten leise miteinander. Guthats tiefem Baß antwortete Hrorars heiseres Flüstern. Siglind dachte an die kostbare Goldbrosche und überlegte, ob sie die Männer bestechen konnte. Sie bezweifelte es. Nein, sie mußte versuchen, das anzuwenden, was sie aus ihren Träumen kannte. Es mußte ihr gelingen, das Bewußtsein der Feinde mit ihrer geistigen Kraft zu binden und die Fesseln der beiden Wälsungen zu sprengen. Das hatte vor ihr auch ihre Mutter, die Walküre, vollbracht. Ihr langsamer Atem wurde ein eisiges Zischen und verfestigte sich zu schwarzen Ketten, die sich hinter ihren geschlossenen Augen um den kahlen Kopf von Hrorar und durch die braunen Locken von Guthat senkten. Ein kaltes dunkles Glitzern fesselte die Gedanken der beiden Männer und ließ ihre Bewegungen erstarren. Ihre Stimmen

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