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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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Goldreifen wanden sich um seine Arme und bedeckten die nicht heilende Armwunde. An seiner Seite hing Sigmunds Schwert. Als der Wälsung den Kristall im Knauf blitzen sah, mußte er seine ganze Kraft aufbieten, um nicht vor ohnmächtiger Wut laut aufzuschreien. Auf Siglinds Haar lag ein Kranz aus gelbblättrigen Birkenzweigen, und sie trug ein goldverziertes Auerochs-Horn. Das dunkelgrüne Leinenkleid unter dem grünen Umhang war mit reichen Stickereien verziert. Sie sah so schön aus wie eine Göttin. Bald werden wir wieder Zusammensein, dachte Sigmund, und ein sehnsüchtiger Schauer lief ihm über den Rücken.
    Im Schein der Fackeln sah er auch zwei kleine Kinder, die dem Fro und der Frowe folgten. Sie sahen Harigast und Theudorik sehr ähnlich; beide hatten die helle Haut ihrer Mutter und die rötlichen Haare ihres Vaters, Siglinds feingeschnittene Züge und Siggeirs gebogene Nase. Bei ihrem Anblick stockte Sigmund der Atem. Sie dürfen nicht mit hineingezogen werden, dachte er bekümmert. Doch wenn sie groß sind, werden sie Rache nehmen. Aber Sigmund wollte Siglinds Kinder nicht töten. Seine Rache galt nur Siggeir. Den Kindern folgten vier Rinder: zwei Stiere und zwei Kühe. Sie waren gut gefüttert und hatten glänzendes Fell. Normalerweise opferte man zum Segen der Winternächte die schwächsten Tiere, bei denen kaum Hoffnung bestand, daß sie den Winter überleben würden; weil Siggeir in diesem Jahr besonders auf die Gunst der Götter und Göttinnen angewiesen war, hatte er offenbar die besten Tiere seiner Herde ausgewählt.
    Als die singenden Menschen vorüberzogen, stellte Sigmund fest, daß viele ängstlich in die dunklen Schatten blickten. Ihre Stimmen klangen nicht zuversichtlich oder mutig, obwohl sie ein fröhliches Lied sangen. Es hörte sich eher an, als wollten sie damit die Wölfe vertreiben, die erst vor wenigen Tagen ein so grausames Blutbad angerichtet hatten.
    Im lauten Gesang ging auch sein Ausruf beim Anblick von Freydis unter, die vor den Kriegern ging. Ihre Brüste bewegten sich frei unter der weiten Bluse, und der weite dunkle Rock schwang beim Gehen im Rhythmus der Hüften. Sie konnte Sigmund nicht gehört haben, aber sie drehte den Kopf und blickte in seine Richtung. Ihre Blicke trafen sich flüchtig. Das Feuer des Bernsteins und der goldenen Kette spiegelte sich auch in ihren Augen, und Sigmund glaubte, in die Strahlen der untergehenden Sonne zu blicken. Ihm wurde glühend heiß. Er blinzelte verwirrt, und sie drehte den Kopf und ging weiter.
    Freydis hatte sich nicht verändert, aber Sigmund hätte sie auch nach hundert Jahren wiedererkannt. Trotzdem wußte er plötzlich mit einer unerklärlichen Sicherheit, daß er nicht mit dieser Frau zusammen gewesen war. Er war innerlich tief aufgewühlt, schloß die Augen und atmete langsam, bis er sich wieder beruhigt hatte. Später wird Gelegenheit sein, alle Rätsel zu lösen, dachte er, jetzt stehen wir vor einer schwierigen Aufgabe. Erst wenn sie erledigt ist, kann es weitergehen. Nicht nur auf der großen Lichtung, sondern auch im heiligen Hain drängten sich die Menschen, als auch der letzte Krieger den Weg heruntergekommen war und der Gesang endete. Sigmund und Sinfjotli schlichen sich den Hügel hinauf und blickten von oben auf die Menschen im Fackelschein hinunter. Siggeir und Siglind standen vor dem geweihten Stein hinter den Rindern und neben einem Faß Bier. Die Kinder sah Sigmund nicht, dafür aber Freydis, die hinter Siggeir stand. Ihr Schatten wirkte wie ein sprungbereiter Luchs, und wieder dachte Sigmund: Mit dieser Frau habe ich niemals geschlafen. Als sie den Kopf hob, wich er hinter einen Baum zurück und gab Sinfjotli ein Zeichen, daß sie zu ihrem Versteck am Rundweg zurückkehren sollten. Siggeirs Stimme tönte klar im kühlen Wind, der in den Zweigen raschelte, als er den Segen sprach: »Der Sommer ist zu Ende. Die Zeit der Ernte ist vorbei. Wir stehen am Anfang des Winters. Vor dem heiligen Stein ehren wir die Götter und Göttinnen unseres Volkes, wie es unsere Vorfahren vor uns getan haben. Ingwe-Freyjar, wir bringen dir den Erntedank! Heilige Freyja, wir bitten um deinen Segen! Idise und Alben unserer Ahnen kommt hierher und vernehmt unseren Ruf, denn wir bitten euch um des Winters Segen!« Sigmund fuhr über den Schaft seines Speers, als Siggeir weitersprach. Der Speer würde mühelos und zielsicher durch die Luft fliegen und Siggeirs Schicksal besiegeln. Siggeir hatte Sigmund Wotans Geschenk weggenommen. Sigmund

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