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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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wurden leiser und verstummten schließlich. Siglind summte und wiegte sie in Schlaf - das war nicht schwierig, denn sie hatten die ganze Nacht gewacht. Eine bleierne Schwere drückte ihnen die Lider zu. Ihre Hände lagen kraftlos auf den Beinen, die breiten Rücken sanken gegen die Wand, nichts bewegte sich außer ihrem langsamen, gleichmäßigen Atem.
    Als Siglind die Augen wieder öffnete, war draußen alles still. Sie nahm zwei große Stücke Räucherfleisch von den Haken am Balken und verbarg sie unter ihrem Umhang. Leise schlich sie durch die Vorratskammer und öffnete behutsam die Tür. Sie wollte
    Hrorar und Guthat sagen, daß sie die Blase entleeren mußte. Ihr stockte der Atem, als sie sah, daß die beiden nicht schliefen, sondern nur schläfrig vor der Wand saßen. Ihre Augen richteten sich langsam auf Siglind.
    »Wohin gehst du, Siglind?« fragte Hrorar mit so schwerer Zunge, daß sie ihn kaum verstand. »Ich muß nur hinter einen Busch«, erwiderte sie leise und fügte in einem monotonen Singsang hinzu: »Ihr bleibt hier, ruht euch aus, steht nicht auf, keine Sorge, ich komme gleich zurück.« Sie blickte ihnen in die Augen, und der Strom ihrer Kraft verstärkte die Fesseln. »Schlaf, Hrorar. Schlaf, Guthat!« Die beiden bewegten sich hin und her, um eine bequemere Stellung zu finden, und schlossen die schlaftrunkenen Augen. Siglind entfernte sich vorsichtig, um sie nicht aufzuwecken.
    Als sie die Vorratshütte umrundet hatte, lief sie schnell zur Rückseite der Halle. Sie mußte alles riskieren. Es würde keine zweite Gelegenheit geben, wenn die Götter nicht mit ihr waren. Sie öffnete die Hintertür ihrer Kammer und trat ein. Mit einem erleichterten Seufzen stellte sie fest, daß Siggeir schnarchte. Er lag in seinen schwarzen Umhang gehüllt, angekleidet auf dem Bett. Die langen, knochigen Finger hatte er über der Brust gefaltet. Sigmunds Schwert hing wie immer an seinem Gürtel. Leise trat sie an das Bett und zog geschickt Sigmunds Schwert aus der Scheide. Den dunklen Schatten an der Tür zur Halle bemerkte Siglind erst, als sie spürte, daß jemand sie beobachtete.
    Freydis' Augen glühten groß wie die Augen einer riesigen Katze und zogen Siglinds Blick in ihren heißen weißen Kern. Siglind blieb unsicher stehen. Sie wich Freydis' Blick nicht aus, hob das Schwert und spürte den warmen Strom der Kraft wie eine wunderbare Bestätigung ihres Tuns. Siglind stand geschützt im weißen Licht des Kristalls. Schlafwatndlerisch ging sie langsam zu der Truhe, in der Siggeirs altes Schwert lag.
    Sie suchte tastend in dem gefalteten Leinen und den duftenden Kräutern, bis sie das Schwert fand und zog es aus der Scheide. Es war kürzer als Sigmunds Waffe und hatte auch eine schmalere Klinge. Es paßte in die Scheide, als sie Siggeirs altes Schwert hineinschob. Mit Sigmunds Schwert zog sie ein Netz unsichtbarer Strahlen darum, ein silbernes Band, um die Aufmerksamkeit abzulenken, damit niemand - nicht einmal Siggeir - den fehlenden Kristall am Griff bemerken würde. Freydis beobachtete Siglind schweigend und ohne sich von der Stelle zu rühren. Siglind spießte das geräucherte Fleisch auf Sigmunds Schwert und verbarg es unter dem Umhang. Nach einem letzten Blick auf die Seherin verließ sie die Kammer wieder durch die Hintertür und lief erleichtert über das Feld hinunter zu dem gemauerten Grab. Freydis hatte sie nicht daran hindern können, das zu tun, was sie tun mußte. Die Seherin wartete auf das Urteil der Götter. Sie würde nicht eingreifen und Siglind verraten. Auf dem Weg entdeckte Siglind ein Bündel Stroh, das die Knechte verloren haben mußten. Sie hob es auf und verbarg das Schwert darin.
    Die Knechte sahen Siglind mißtrauisch an, als sie sich ihnen näherte.
    »Was willst du hier?« fragte der schwarzhaarige Chlodowig, der die Arbeiten beaufsichtigte.
    »Ich bringe meinem Bruder und seinem Sohn nur etwas Fleisch und Stroh, damit sie nicht zu schnell sterben.« Sie lachte laut, und noch ehe der Mann es verhindern konnte, stellte sie sich auf die Fußspitzen und warf das Stroh durch die noch nicht völlig geschlossene Decke in das Grab. »Ihr dürft das dem Drichten nicht sagen, denn wenn er es erfahren sollte, würde er euch bestrafen, und ich kann euch versichern, ein Knecht wird mehr unter seinem Zorn zu leiden haben als seine Frau.«
    Chlodowig bekam einen roten Kopf, und seine dunklen Augen funkelten wie die eines wütenden Stiers. »Du hast deinen Mann verraten. Wenn ich einer seiner

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