Rheingold
Gefolgsleute wäre, würde ich ihm das auch sagen.« Er spuckte vor ihr aus. »Aber ich bin nur ein Knecht, und du hast recht. Mich erwartet ein schlimmer Lohn, wenn ich ihm berichte, was du getan hast. Sei froh, daß du die Frowe bist.« Er ging zu den anderen, die ihn fragend ansahen und im kalten Wind die Hände rieben. »Macht weiter, ihr faulen Kerle! Es ist nichts geschehen. Habt ihr verstanden? Oder wollt ihr, daß euch die Haut in Fetzen vom Rücken hängt?«
Siglind eilte zurück zum Vorratshaus und vorbei an den schlafenden Wächtern, ohne sie aufzuwecken. Sie lächelte siegessicher. Durch Wotans Gaben und ihre Kraft hatte sie Sigmund und Sinfjotli die Möglichkeit zur Flucht gegeben. Sie setzte sich und begann langsam, die Fesseln der Wächter zu lösen, damit sie nicht in ewigem Schlaf versanken.
Es dauerte nicht lange, und sie hörte ein erschrockenes: »O Scheiße! He Guthat, schläfst du?« Und als Antwort: »Mmmm? Was?« Siglind drehte sich rasch zur Seite und legte den Kopf an einen Sack Korn. Sie schloß die Augen und öffnete leicht den Mund, als auch schon die Tür aufging.
»Alles in Ordnung«, murmelte Guthat, »sie schläft wie eine Tote. Warum schickt Siggeir keine Wachablösung? Ich möchte nach Hause, ich möchte etwas essen, und ich möchte ins Bett.«
»Vermutlich hat er uns vergessen«, sagte Hrorar. »Unter uns gesagt, ich glaube, er wird langsam alt. Nun ja, wir können sie ohnehin hier rauslassen, wenn die Knechte mit dem Bau fertig sind. Selbst diese Berserker werden da nicht mehr rauskommen, und von der anderen Seite der Mauer kann sie ihnen bestimmt nicht helfen.«
»Mmm. Also wenn du mich fragst, die sind ja alle verrückt. Hast du nicht auch schon daran gedacht, zusammenzupacken und zu Hlewagast in den Norden zu gehen?«
»Das ist doch auch nur ein alter Spinner mit toten Söhnen. Nein, danke. Wenn ich gehe, dann will ich nach Süden. Es heißt, dort kann ein Mann mit starken Armen soviel Land haben, wie er will. Entweder als Kriegsbeute oder als Geschenk der Römer.«
»Du glaubst an das Geschwätz der Seeleute, mein Lieber. Die Römer verschenken nichts.« »Stimmt nicht, mein Vetter ist vor zwei Jahren nach Britannien gefahren und hat dort Biermannen getroffen, die von den Römern angesiedelt worden sind. Sie haben Land, Häuser und alles, denn sie sollen die Küste bewachen und vor Eindringlingen wie uns schützen.«
»Dein Vetter...«
Siglind verbannte die Stimmen aus ihrem Kopf, richtete sich auf und konzentrierte ihre Gedanken mit ganzer Kraft auf ihren Bruder und ihren Sohn.
*
Sigmund sah das Bündel durch die Öffnung fallen. Es landete auf der anderen Seite des Felsens bei Sinfjotli. Dann hörte er das Klirren von Ketten, als Sinfjotli das Stroh untersuchte. »Wenigstens werden wir in der nächsten Zeit nicht verhungern. Meine Mutter hat uns viel Fleisch gebracht«, rief Sinfjotli so laut, daß man es draußen hörte. Sigmund wartete gespannt, aber Sinfjotli sagte nichts mehr.
Die Knechte schlossen die letzten Lücken und füllten die Ritzen mit Moos und Strohlehm, so daß kaum noch Licht in die Kammern drang. Sigmund und Sinfjotli sprachen den ganzen Tag nicht miteinander, bis bei Einbruch der Nacht alles um sie herum verstummte und sie von weitem hörten, wie die Totenfeier begann und der Scheiterhaufen brannte. Das Warten fiel Sigmund schwer, denn wenn er daran dachte, was Siglind ihnen möglicherweise gebracht hatte, schöpfte er wieder Hoffnung. Er sah bereits den glitzernden Kristall durch das Stroh ... aber natürlich war das reines Wunschdenken. »Sigmund?« hörte er Sinfjotlis leise Stimme. »Ich habe hier ein Schwert... ein Schwert mit einem glatten Kristall im Knauf...« Sigmund stieß einen gedämpften Freudenschrei aus. »Kannst du die Klinge direkt unter der Decke hindurchschieben?« fragte er. »Wenn wir es richtig anstellen, können wir unsere Ketten durchtrennen und überlegen, wie wir hier herauskommen.« Er rutschte dicht an den Felsen heran und richtete sich vorsichtig auf, um nicht an die Decke zu stoßen - den Göttern sei Dank, seine Hände waren nicht auf dem Rücken gefesselt.
»Warte«, erwiderte Sinfjotli schnaufend. Sigmund hörte ein Klirren. »Geschafft! Bei den Göttern, das ist wirklich ein scharfes Schwert! Es schneidet Eisen wie nichts. Bist du bereit?«
»Ich bin bereit«, erwiderte Sigmund. Er bewegte sich auf das gedämpfte Klirren von Metall auf Stein zu, bis die kalte Schärfe des Schwerts durch seine Finger
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