Rheingold
Essen waschen und ausruhen.«
»Dafür wären wir sehr dankbar«, antwortete Herwodis, ehe ihr einfiel, daß sie Hildes Magd war.
Perchte blinzelte und musterte beide noch einmal. Herwodis spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg, aber die kleine Frau sagte nur: »Ich hoffe, unsere Halle wird euch nicht enttäuschen, denn die römischen Handwerker kommen selten auf diese Seite des Rheins.«
Sie führte Herwodis und Hilde durch den Mittelgang der Halle und in die Kammern dahinter, die nur von Fackeln beleuchtet wurden. Sie hatten keine Fenster und waren dunkler und schmutziger, als Herwodis es von zu Hause kannte. Der gestampfte Lehmboden roch trotz des Strohs und der darüber gestreuten Kräuter modrig. »Ich schicke eine Magd mit Wasser zum Waschen und lasse eure Kleider vom Schiff holen.« Sie ging und ließ die beiden Frauen allein in der Kammer.
»Glaubst du wirklich, ich kann das wagen, bei einem richtigen Mahl?« flüsterte Hilde. »Wäre es nicht besser, Alaprecht alles zu sagen? Inzwischen habe ich nämlich keine Angst mehr.«
»Ich weiß nicht so recht«, flüsterte Herwodis, »ich meine... na ja, es wäre eine Beleidigung, nachdem wir es bis jetzt nicht gesagt haben. Er hätte allen Grund, verärgert zu sein, und dann kämen wir vielleicht nie wieder nach Hause.« Die Wunde an der Hand hatte sich entzündet und schmerzte. Noch immer floß etwas Blut, wenn sie die Hand zur Faust ballte. »Nein, laß uns so weitermachen wie bisher. Ich möchte kein Risiko eingehen. Außerdem wird es nicht allzu lange dauern, und du machst deine Sache als Frowe wirklich gut.«
»Findest du?«
»O ja«, erwiderte Herwodis und legte Hilde aufmunternd die Hand auf die Schulter. »Du darfst nur nicht kichern, wenn jemand nach Sigmund fragt. Man erwartet, daß du um ihn trauerst.«
»Ich weiß, aber der Gedanke, daß ich mit einem solchen Mann verheiratet gewesen sein soll...«
Herwodis biß die Zähne zusammen, um die Tränen zu unterdrücken. Sie holte tief Luft und versuchte, den Knoten in ihrer Brust zu lösen.
»Pssst«, flüsterte sie, »es kommt jemand.«
Eine kleine blonde Magd kam mit heißem Wasser und Handtüchern. Dann brachten Knechte die Truhe mit den Kleidern. Nachdem Herwodis und Hilde sich gewaschen hatten, öffneten sie die Truhe und suchten nach geeigneten Sachen. Die Gewänder von Herwodis waren für Hilde zu lang, und deshalb zogen sie den weichen Stoff über einen Gürtel. Hilde lachte, bis ihr die Tränen kamen. Hildes Gewand reichte Herwodis nur bis zu den Waden und saß an Schultern und Oberkörper so straff, daß Herwodis befürchtete, die Nähte könnten platzen. Aber es half nichts. Für das Festmahl mußten sie die Kleider wechseln. »Der Umhang wird das meiste verdecken«, sagte Herwodis zuversichtlich, als Hilde schließlich in einem dunkelblauen Gewand aus dünnem Leinen vor ihr stand und sie fragend ansah. Herwodis wagte nicht, sich vorzubeugen, um zwei ihrer Broschen aus der Truhe zu nehmen. Statt dessen ging sie vorsichtig auf die Knie. Sie raffte den Stoff an den Seiten, drapierte ihn über Hildes Gürtel und steckte ihn mit den Goldbroschen fest. Den Umhang für Hilde hatten sie bereits auf dem Schiff gekürzt; Hildes Umhang reichte Herwodis kaum bis zu den Knöcheln. Nun ja, dachte sie, beim Fackelschein in einer Halle kann man ohnehin nicht viel sehen. Die beiden Frauen musterten sich kritisch gegenseitig. Hilde wirkte wirklich wie eine hochgeborene Frowe - die Magd hatte ein fein geschnittenes Gesicht, und ihr blondes Haar lag geflochten um den zierlichen Kopf. Im Grunde, sagte sich Herwodis, sieht Hilde eher wie eine Edelfrau aus als ich, selbst wenn ich mich bemühe, meine laute Stimme zu dämpfen und mich langsam bewege, um nicht auf meine Größe aufmerksam zu machen. Hildes viel zu enges Kleid kam ihr wie das Geschirr eines Ochsen vor, aber sie tröstete sich mit dem Gedanken, daß eine Magd nicht so anmutig sein mußte wie die Tochter eines Königs.
Als das Festmahl begann, klopfte Perchte an die Tür der Kammer. »Seid ihr bereit?« rief sie. Herwodis öffnete die Tür und hielt sie für Hilde auf, die vorausging.
Beim Mahl saß Hilde neben Alaprecht; als Magd stand Herwodis hinter ihrer Frowe und bediente sie, wie Hilde es in der Halle ihres Vaters immer getan hatte. An Hildes anderer Seite saß Perchte, und neben ihr König Chilpirich, ein würdevoller Mann mit schwarzem Haar und Bart, in den sich graue Haare mischten. Alaprecht unterhielt sich freundlich mit Hilde.
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