Rheingold
beiseite und zogen an schweren nassen Decken. Die Truhe mit Kleidern war fast unbeschädigt. Unter einem Zelt fanden sie ein kleines Faß Wein; das Brot lag durchnäßt und schlammbedeckt auf der Erde.
Herwodis richtete sich stöhnend auf und rieb sich die Augen, als sie mehrere Schiffe sah, die rheinaufwärts fuhren.
»Ist das Lingwe?« fragte Hilde ängstlich. »Kommt er zurück, um uns zu holen?«
»Ich weiß es nicht. Verstecken wir uns, bis wir sehen, wer es ist.« Die beiden Frauen eilten in den Wald zurück. Als sie sich umdrehten, sahen sie ein Banner im Wind flattern. Es zeigte ein goldenes Pferd auf weißem Grund.
»Das sind nicht Hundings Söhne«, erklärte Herwodis. »Ich weiß nicht, wer es sein könnte.« »Was sollen wir tun? Was, wenn sie... Ich bin sicher, dir werden sie nichts tun, wenn du ihnen sagst, wer du bist. Aber ich bin nur eine Magd. Und wenn diese Männer...?« Sie drückte angstvoll die Hände vor die Brust und sah Herwodis mit aufgerissenen Augen an.
Herwodis nahm ihren bestickten Umhang ab, löste den Gürtel mit der Goldschnalle und legte ihn Hilde um. Dann zog sie Hildes einfaches Gewand über. Sie behielt nur den Kamm von Sigmund, den sie tief unten im Beutel verbarg, der an ihrer Seite hing, einen kleinen Goldring von ihrem Vater und Sigmunds zerbrochenes Schwert, das sie unter Hildes Umhang verbarg.
»Bis wir wieder zu Hause sind, bist du die Edelfrau und ich die Magd«, sagte sie. »Ich glaube, ich kann mich besser wehren als du. Außerdem habe ich meine Jungfernschaft in
Ehren verloren und bin bereits schwanger. Nun reiß dich zusammen und versuche, dich wie die Tochter eines Königs zu benehmen. Wenn auf den Schiffen Drichten sind, dann berichte ihnen, was hier geschehen ist, und wir werden ihnen die Schatztruhen zeigen.«
Hilde nickte und biß sich auf die Unterlippe. Vom Ufer drangen tiefe Männerstimmen herüber. »He! Ihr Frauen, kommt heraus! Habt keine Angst! Der Drichten Alaprecht möchte mit euch reden! Kommt heraus!« An der Aussprache erkannte Herwodis, daß es Alemannen waren, und ein Hoffnungsschimmer vertrieb den Schatten der Angst in ihrem Herzen.
Es dauerte nicht lange, und zwischen den Büschen erschienen drei Männer. Sie trugen nur Speere und keine Rüstung, aber Tuniken aus kostbarem Stoff. Als sie Herwodis und Hilde sahen, blieben sie stehen, und Herwodis atmete erleichtert auf.
»Kommt mit uns, wenn ihr wollt«, sagte der kleinste der Männer. Er war kräftig von Gestalt, hatte dünne braune Haare und ein hageres Gesicht. »Der Drichten Alaprecht hat euch auf dem Schlachtfeld gesehen. Er möchte wissen, was geschehen ist, und wer die vielen Toten sind.«
Herwodis und Hilde schwiegen, und jede wartete darauf, daß die andere etwas sagte. Schließlich stieß Herwodis ihre Magd an, und Hilde trat vor. »Wir kommen mit euch«, sagte sie. Die beiden Frauen folgten den Männern zu
den Schiffen. Am Ufer stand ein reich gekleideter Mann und erwartete sie. Er war etwa so groß wie Herwodis, und die kräftigen Muskeln ließen ihn etwas rundlich erscheinen, aber er hatte ein angenehmes und edles Gesicht, eine lange Nase und einen dichten blonden Schnurrbart. Als er ihnen zur Begrüßung entgegenkam, sah Herwodis, daß er die Haltung eines Königs hatte, obwohl seine lockigen hellbraunen Haare dicht über der Schulter abgeschnitten waren.
»Seid gegrüßt, edle Frauen«, sagte er. »Ich bin Alaprecht, der Sohn des Königs Chilpirich. Wollt ihr mir sagen, wer ihr seid und was ihr von dem Kampf hier wißt?«
Hilde griff sich verlegen an die zerzausten Haare und senkte vor seinen haselnußbraunen Augen den Kopf. »Ich bin Herwodis, die Tochter von Awilimo, und das ist meine Magd Hilde«, antwortete sie. »Hier haben König Awilimo von den salischen Franken und Sigmund, der Wälsunge... mein Mann gekämpft.« Sie stieß ein kurzes krampfhaftes Lachen aus, das auch als Schmerzensschrei gedeutet werden konnte. »Sie haben sich mit Lingwe und den Söhnen von Hunding geschlagen, die eine große Streitmacht versammelt hatten, als Sigmund nach der Hochzeit mit Herwodis, der Tochter des Königs... mit mir... in sein Land im Norden zurückfuhr. Lingwe wollte mich und meinen Brautschatz. Er hat zwar den Kampf gewonnen, aber weder das eine noch das andere bekommen, denn ich und meine... Magd haben uns versteckt. Wotans Zorn hat Lingwe vertrieben, und der Schatz liegt im Wald verborgen.«
»Aha«, murmelte Alaprecht nachdenklich. Er fuhr mit dem Finger an der langen
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