Rheingold
verkrümmten Rücken und linderte die Schmerzen der langen Nachtwache. Regin legte die Füße auf das Fellkissen eines kunstvoll geschnitzten Hockers. Er trank langsam und bedächtig und starrte dabei in die Flammen des verlöschenden Feuers. Regin war müde, sehr müde. Aber er war noch nicht bereit, sich dem Schlaf zu überlassen, obwohl er wußte, es würde lange, sehr lange dauern, bis Sigfrid erwachte, um von nun an selbst den Weg des Schicksals zu gehen, das er mit Runen in der Gestalt eines Drachens geschnitzt hatte, der sich über seiner Tür wand:
SIGFRID DER DRACHENTÖTER WIRD MEINEN WILLEN ERFÜLLEN.
Zweites Buch
SIGFRID
»Nothung! Nothung! Neidliches Schwert!
Jetzt haftest du wieder im Heft...
Dem sterbenden Vater zersprang der Stahl,
der lebende Sohn schuf ihn neu.
Nun lacht ihm sein heller Schein,
seine Schärfe schneidet ihm hart.
Nothung! Nothung! Neidliches Schwert!
Zum Leben weckt' ich dich wieder...«
Richard Wagner Siegfried , 1. Aufzug, 3. Szene
1
DER LEHRLING
Der Geruch von kochendem Fleisch und wildem Lauch drang langsam in Sigfrids Bewußtsein. Die Dunkelheit hinter den geschlossenen Lidern wurde zum pulsierenden Rot warmer Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht. Er öffnete die Augen einen Spalt und blinzelte in das helle Licht der Nachmittagssonne, das durch die offene Tür der Hütte fiel. In seinem Rücken hörte er ein seltsames Krächzen. Sigfrid drehte den Kopf zur Seite und blickte, noch geblendet von der Sonne, auf den schemenhaften Regin, der vor dem Feuer stand und kochte. Er hörte das Krächzen wieder und sah, daß der alte Zwerg hustete, weil das Holz auf den Flammen qualmte und ihm der Rauch ins Gesicht stieg. »Endlich bist du wach«, brummte Regin. »Also, woran kannst du dich erinnern?«
Beim Gedanken an die Fülle seiner nächtlichen Visionen, die ihm durch den Kopf wirbelten und ihn noch immer erschauern ließen, schloß Sigfrid schnell wieder die Augen. Das alles war zuviel. Sosehr er sich auch bemühte, er konnte nichts fassen oder festhalten. Ihm blieb nur ein flüchtiges Bild von feurigem Gold. Er sah das Gesicht einer Frau, blond und kühl wie ein Wintermorgen, und er hörte das Klirren eines zerbrechenden Schwerts ...
Langsam, ohne sagen zu können, warum, stellte sich in ihm das Gefühl ein, daß er jetzt seine Aufgabe kannte. »Ich muß meinen Vater rächen«, sagte er laut und deutlich. Dieser Satz machte Sigfrid wieder bewußt, was ihm beim Aufwachen entfallen war. Er fühlte sich beraubt und um sein kostbarstes Erbe betrogen. In ohnmächtigem Zorn ballte er die Fäuste, trommelte wütend auf sein Lager und schrie: »Ich weiß nichts mehr! Ich weiß nichts mehr! Die Götter sollen dich verfluchen. Ich habe alles gesehen, und jetzt ist es wieder weg!«
Tränen strömten ihm über die Wangen, als er fieberhaft versuchte, die verblassenden Bilder des Traums festzuhalten. Der Holzrahmen des Lagers brach unter Sigfrids Fäusten laut krachend zusammen, und er landete in einem Durcheinander von Decken und Hölzern auf dem Boden. Er holte tief Luft und kletterte aus den Trümmern. Langsam richtete er sich auf und starrte auf den Zwerg. Regin wich vorsichtig zurück und warf einen verstohlenen Blick auf die Axt, die an der Wand lehnte.
»Es ist alles wie weggeblasen«, murmelte Sigfrid etwas ruhiger. »Wußtest du, daß das geschehen würde?« fragte er gequält. »Ist das deine Rache, weil ich dich geärgert hatte?«
Regin schüttelte den Kopf. »Beruhige dich, Sigfrid, es ist noch da,... in deinen Knochen, in deinem Blut. Und du kannst mir glauben, dort war es schon immer. Der Trank hat dich in den verborgenen Tiefen der Erinnerung dein wahres Erbe sehen lassen, aber nun mußt du es aus eigener Kraft zurückgewinnen. Wenn du Fafnir getötet hast und der Teil von Otturs Wergeld dein ist, der dir durch deine Mutter zusteht, dann wirst du mehr wissen als jetzt.« »Otturs Wergeld...«, murmelte Sigfrid - ein menschengroßes Fell, klirrendes Gold, der gespenstische Drachenkopf über der leblosen Gestalt eines Mannes. Da war noch mehr gewesen, sehr viel mehr... Grübeln half nichts, denn das alles war wieder tief verborgen und verschlossen. Sigfrid knirschte vor Enttäuschung mit den Zähnen. »Erzähl mir davon, bitte...«, flehte er und versuchte, den Zorn aus seiner Stimme zu verdrängen.
»Du hast bestimmt großen Hunger«, erwiderte Regin ruhig, drehte sich um und füllte zwei Schalen mit Suppe. Der Zwerg setzte sich auf seinen Stuhl und überließ Sigfrid
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