Rheingold
und niemand für einen angemessenen Scheiterhaufen oder ein Grab sorgte. Zitternd schob sie die schweren Körper zur Seite und suchte weiter nach dem zerbrochenen Schwert.
»Hilfe!« schrie Hilde plötzlich. Herwodis schrak zusammen und sah, daß ihre Magd am Umhang festgehalten wurde. Hilde schlug wie wild um sich, als Herwodis zu ihr eilte. »Hilfe, er läßt mich nicht los!« schrie sie hysterisch schluchzend.
Herwodis bückte sich schnell. Einer der Toten, ein Mann mit gespaltenem Kopf, war zur Seite gefallen und auf Hildes Umhang gerollt. Sie hob den Toten hoch und befreite Hilde, die vor Angst wie von Sinnen war. Herwodis packte sie am Arm und schlug ihr ins Gesicht, damit sie
wieder zur Vernunft kam. Mit zitternden Händen ließ sie die Zofe schließlich los. »Geh«, sagte sie heiser zu Hilde, »geh und warte im Wald auf mich. Du brauchst das nicht länger zu tun.«
»A..aber, dann bist ganz allein mit all den toten Männern hier«, schluchzte Hilde. »Was ist, wenn... ?«
»Geh«, wiederholte Herwodis energisch und so laut, daß Hilde zusammenzuckte, »nun geh schon.«
Hilde rannte stolpernd vom Schlachtfeld, und Herwodis suchte weiter, bis ihre Hand endlich den glatten Kristall berührte, der Sigmunds Schwertgriff schmückte. Die Klinge war in der Mitte auseinandergebrochen. Sie tastete im blutigen Schlamm, bis sie sich an dem gezackten Bruch der anderen Hälfte in die Hand schnitt. Sie stieß den Atem zischend durch die Zähne, wischte die Wunde am Ärmel ab und hielt die beiden Hälften zusammen. Ja, es war Sigmunds Schwert. Sie säuberte es sorgfältig mit ihrem Kleid und versuchte zu verhindern, daß aus der Wunde neues Blut darauf tropfte. Dann verließ sie das Schlachtfeld und folgte Hilde in den Wald. Ihre Magd zitterte am ganzen Leib und starrte erschrocken auf die schwarzen Bäume, als warte hinter jedem Busch ein Wolf oder ein Gespenst. »Hast du es gefunden?« fragte Hilde leise. »Ja.«
»Was sollen wir jetzt nur machen?«
»Zuerst suchen wir uns eine Stelle, wo es nicht zu naß ist und wo wir vor dem Wind geschützt sind, und dann werden wir schlafen. Ich glaube, heute nacht können wir nichts anderes tun.«
»Oh, ich kann nicht schlafen«, jammerte Hilde. »Die toten Männer als der eine meinen Umhang packte, glaubte ich, auf der Stelle zu sterben... ich dachte, er würde mich zu sich ziehen...« Sie schluchzte wieder und klammerte sich an Herwodis, die ihr mit zitternder Hand über die Haare strich. Sie versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Sigmund war tot - das schien unmöglich. Er hatte alle Männer überragt wie ein Baum mit hartem gesundem Holz. Sie hatte geglaubt, er habe die Kraft, ewig zu leben. Jetzt war sein Schwert zerbrochen, und seine Leiche lag wie die ihres Vater kalt und starr im Schlamm. Alle ihre Pläne, ein Königreich zu schaffen, waren zunichte gemacht. Sie stand allein auf der Welt und mußte sich so gut wie möglich durchschlagen.
»Ruhig, ganz ruhig.«
Herwodis redete Hilde sanft zu wie einem Kind, »ganz ruhig, wir müssen jetzt schlafen. Wer weiß, was morgen geschieht? Wir gehen in das Land meines Vaters zurück. Sein Bruder Haribald wird uns in Ehren halten wie zuvor. Nur ruhig, meine kleine Hilde, sei still, damit uns niemand hört.«
Hilde schluchzte leise weiter. Die beiden jungen Frauen liefen im dunklen Wald herum,
bis sie sich schließlich zwischen den Wurzeln einer großen Esche auf die Erde legten. Der breite Stamm hielt den Wind ab und die dichten Blätter den Regen. Hilde schlief sofort ein und atmete ruhig und langsam. Aber Herwodis blieb wach. Eine kalte harte Wurzel drückte sich schmerzhaft in ihren Rücken, und ihre Wunde klopfte. Wellen der Trauer und Schuld quälten sie, bis der Morgen graute.
*
Es war schon lange hell, als Herwodis erwachte. Sie hatte Hunger und Durst, und ihr ganzer Körper schmerzte. Es war schon lange hell. Hilde streckte sich stöhnend. Nach der Nacht auf dem harten Waldboden jammerte sie über die Kälte und die Schmerzen im Rücken. »Gehen wir hinunter zum Fluß und sehen wir nach, was von unserem Lager noch übrig ist«, sagte Herwodis. »Vielleicht finden wir auch noch etwas Eßbares.«
Sigmunds Schiffe lagen noch am Ufer vertäut. Zwei neigten sich bedenklich zur Seite und standen voll Wasser. Das Unwetter hatte das Lager verwüstet. Die Zelte waren vom Hagel zerfetzt, und der Sturm hatte alles durcheinandergewirbelt. Herwodis und Hilde suchten unter den Trümmern, schoben zersplittertes Holz
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