Rheingold
flossen ihr über die Wangen. Der Knoten der Angst löste sich in ihrer Brust, und ein altes Lied klang tröstend in ihrer Seele:
Einen Sohn zu haben ist gut / auch wenn er spät kommt, und geboren wird, wenn sein Vater tot ist; nicht viele Steine stehen am Wegesrand aber es sind Denkmale der Nachfahren für ihre Ahnen.
Er wirbelte durch die Dunkelheit, in der feurige Funken glühten; er schwebte wie eine Feder im Wind, bis er nicht mehr wußte, wo oder wer er war. Dann ballten sich alle Winde zu einer großen Faust, die ihn schob und drückte. Erschrocken wollte er atmen, aber nur warme Salzigkeit füllte Mund und Nase, während das Dunkel um ihn herum sich wieder und wieder zusammenzog und ihn unaufhaltsam in einen engen Gang preßte. Der Wirbel vor seinen Augen kreiste schneller und schneller, plötzlich wirkte alles verschwommen, und Feuerschein wurde zu Blindheit. Ein bärtiges, schwarzes Gesicht erschien von oben; ein Auge sah ihn durchdringend an, und graue Lippen sprachen Worte, die er nicht verstand. Dann leuchtete milchig trübes Licht vor ihm auf; der Gang wurde breiter, und die Kraft in seinem Rücken stieß ihn mit einem Ruck hinaus. Er schrie auf, aber ein dichter schleimiger Schleier erstickte seinen Schrei, bis der feuchte Film von seinem Gesicht genommen wurde und er frei atmete. Da schrie er laut und starrte auf die nebelhaften dunklen Gestalten, die sich über ihn beugten, und die Sicht seiner Augen teilte sich. Er schien in der Mitte eines Raums zu schweben, in dem Fackeln brannten, und er sah eine Frau mit schneeweißen Haaren, die ein faltiges neugeborenes Kind mit einer Hand an ihren hageren Körper drückte und mit der anderen über die schweißbedeckte Stirn der jungen Mutter strich, die noch nackt auf dem blutigen Laken lag. Er aber blickte mit unfertigen Augen auf eine Welt, in der Schatten und Feuer sich mischten, in der es keine klaren Gestalten gab und in der nur die Wärme der knochigen Hüfte, auf der er saß, wirklich zu sein schien.
»Es ist ein Sohn«, sagte die Frau mit den weißen Haaren. Ihre Stimme verhallte fern in seinen Ohren, die nichts verstanden: ein Sohn... Sssson ... onnn ... nnnn ...
*
Die Helligkeit schmerzte in seinen Augen. Er hob den schweren Kopf ein wenig und schrie laut, als er in das Licht starrte und der eiskalte Wind sein Gesicht gefühllos machte. Er sah den Mann mit den grauschwarzen Haaren und dem Bart, der der Mutter das Kind aus den Armen nahm. Der kräftige Griff des Kriegers war seltsam und rauh nach den
weichen Umarmungen der Frauen, die ihn pflegten. »Fro Ingwe, Frowe Hulda«, sagte der Mann, und es klang in seinen Ohren wie ein tiefes, langgezogenes Knurren, »Ziw, Wotan, Donar, Nerthus, alle Götter und Göttinnen, Hört mich! Ich nenne dieses Kind Sigfrid. Möge er zum Sieg geboren sein, und mögen alle seine Siege zu Frieden, Fruchtbarkeit und Freude führen!« Eiskaltes Wasser spritzte ihm ins Gesicht. Er starrte auf den undeutlichen bleichen Schatten über ihm, der noch mehr unverständliche Worte sprach. Die Tropfen auf dem kleinen Kind leuchteten in der kalten Wintersonne hell wie Eis, aber seine blauen Augen strahlten noch heller, und der Mann, der ihn hielt, rief fröhlich: »Seht, was für leuchtende Augen er hat! Niemand wird so sein wie er!«. Dann hatte er keine Kraft mehr. Vor ihm tanzten graue Nebel, als er wieder in die Dunkelheit stürzte. Er schlug noch einmal die Augen auf und sah über sich das schattenhafte Gebälk einer niedrigen Hütte und eine kleine gedrungene Gestalt, die sich über ihn beugte. Ihm wurde übel und schwindlig, und er kämpfte darum zu erwachen, aber die Lider fielen ihm wieder zu, und er sah nichts mehr.
*
Regin wartete besorgt. Er wagte nicht, seinen Pflegesohn zu berühren, bis das Keuchen nachließ und Sigfrid langsamer atmete und schließlich leise schnarchte. Draußen heulte inzwischen ein Sturm und pfiff kalt durch einen Spalt im Dach der niedrigen Hütte. Bald würde der Tag anbrechen. Regin bückte sich und hob den schlanken jungen Mann vom Boden, auf den er gestürzt war. Sigfrid war für Regins starke Arme eine leichte Last, als er ihn zu dem Strohlager trug, wo der Junge schlief. Behutsam legte er die Decke über ihn. Der Zwerg wartete noch eine Weile, um sich zu vergewissern, daß sein Schützling in einen natürlichen Schlaf versunken war, dann schlurfte er zu dem Faß in der Ecke und zapfte sich einen Becher starkes, bitteres Bier.
Das Holz der Rückenlehne stützte seinen
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