Rheingold
Hariwulf, einem Burgunder, der als Drichten an der neuen Grenze zwischen unserem und eurem Land lebt. Schläfst du im Gastzimmer?«
»Ja.«
»Dann wirst du früh genug aufwachen.«
Hagen blickte zum Mond hinauf, dessen silbernes Licht einen goldenen Schimmer angenommen hatte, während er zu den niedrigen in Dunst gehüllten Hügeln auf der anderen Seite des Rheins sank. »Viel Zeit zum
Schlafen bleibt dir nicht mehr«, fügte er auf dem Weg zum Gasthof hinzu. »Und du? Bist du die ganze Nacht wach gewesen? Du wirst morgen müde sein.«
»Ich bin daran gewöhnt«, antwortete Hagen. Leise öffneten sie die Tür des Gastraums und stiegen über schlafende Männer, die ärgerlich fluchten, wenn die beiden versehentlich auf sie traten. Selbst die stickige Wärme tat nach der Kälte draußen gut, obwohl die Gerüche noch übler waren als zuvor. Der Burgunder ging geräuschlos zur Tür, die zu den Zimmern führte. Sigfrid legte sich auf eine der schmalen Bänke. Er gähnte und schlief sofort ein.
2
DIE KÖNIGSKINDER
Sigfrid und Regin erreichten Alprechts Gebiet ohne weitere Vorkommnisse. Regin schüttelte den Kopf über die Nachlässigkeit der Wächter, von denen sich keiner im Grenzgebiet blicken ließ. Sigfrid bestürmte den Schmied mit Fragen, erhielt jedoch keine Erklärung dafür, warum Regin sich im Gasthaus vor allen verborgen hatte. Schließlich glaubte er, der Zwerg habe es aus reiner Feigheit getan. Das Land, das Alprecht erobert hatte, als die Alemannen den Rhein überquerten, war schön. Es gab fruchtbare Felder und sanft ansteigende Hügel, über deren Hängen sich Spaliere zogen, wo in einem oder zwei Monaten die grünen Ranken und Blätter der Reben wachsen würden. Sigfrid lief oft weit voraus, bog vom Weg ab und bewunderte die Pferde auf den Koppeln, die der besondere Stolz der Alemannen waren. Die großen Hengste schüttelten übermütig die seidigen Mähnen und galoppierten über die Wiesen, und um die langbeinigen Stuten drängten sich die Fohlen. Alprechts Halle stand am Rand eines Waldes, in dem der König mit seinem Adoptivsohn oft auf die Jagd gegangen war. Als Sigfrid in der Ferne die dunklen Bäume entdeckte, begann er zu rennen. Er lief mit großen Schritten über den gewundenen Weg den Hügel hinauf, auf dem Alprechts Feste stand. Schon von weitem sah er vor dem Tor die vertraute Gestalt seiner Mutter. Als er sie erreicht hatte, faßte er sie um die Hüfte, hob sie überglücklich hoch und drehte sich mit ihr im Kreis. Nachdem Herwodis wieder stand, betastete sie ihre gut gepolsterten Rippen.
»Gebrochen hast du mir nichts«, sagte sie lächelnd. Herwodis schien sich nicht verändert zu haben, seit Sigfrid sie verlassen hatte. Sie musterte ihn in ihrer aufmerksamen Art und sagte zufrieden: »Du bist wirklich groß geworden und noch stärker. Offenbar versorgt dich Regin gut.« Sie umarmte ihn noch einmal. Er drückte sie an sich, gab sich aber diesmal Mühe, ihr nicht weh zu tun. »Und du siehst deinem Vater immer ähnlicher«, fügte Herwodis leise hinzu, und es klang etwas traurig. Sie hustete. »Es ist gut, daß du wieder da bist, Sigfrid«, fuhr sie energischer fort. »König Gebika und seine Familie werden morgen eintreffen. Du mußt dich waschen und...« Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete ihren Sohn noch einmal aufmerksam. Sigfrid richtete sich zu voller Größe auf, holte tief Luft und schob die Schultern zurück. »Heilige Freyja, du brauchst neue Sachen! Und die Zeit reicht nicht mehr, um dir etwas Richtiges zu schneidern... hmmm. Ich glaube, deine Schultern sind breit genug für eine Tunika von Alprecht. Wir werden sie schmaler machen, damit sie dir paßt. Und eine Hose. Das muß auch sein...«
Herwodis seufzte, dann nickte sie entschlossen und blickte den Hügel hinunter. »Und wo ist Regin? Sollen wir auf ihn warten, oder geht er noch eigenen Dingen nach?«
»Er wird schon noch kommen«, erwiderte Sigfrid leichthin. »Aber er ist so langsam, und ich konnte einfach nicht auf ihn warten. Er fürchtet sich vor den Burgundern, deshalb werden wir ihn vielleicht erst zu sehen bekommen, wenn sie wieder weg sind. Warum wolltest du eigentlich, daß er mich herbringt?« Das Gesicht seiner Mutter wurde plötzlich ernst. Ihre kräftigen Wangenknochen traten deutlicher hervor, als sie ihn ansah. »Wir müssen über etwas sprechen... aber erst später, wenn die Dinge mehr... nun ja, wenn alles geklärt ist. Ach, ich habe dir nie viel von meiner Hochzeit erzählt...« fügte
Weitere Kostenlose Bücher