Rheingold
umdrehte, eine Hand hochriß, wie um einen Schlag abzuwehren, und mit der anderen einen langen Dolch zog.
Der Mond fiel kalt auf das bleiche Gesicht des schwarzhaarigen Burgunders. Seine Lippen entblößten spitze weiße Zähne, und seine dunklen Augen starrten in die Dunkelheit.
Sigfrid wich schnell zurück. Er hob die Hände, um zu zeigen, daß er keine Waffe hatte, und lächelte den Burgunder so freundlich wie möglich an. »Nur ruhig«, sagte er, »ich bin es ... du weißt doch, der Junge aus dem Gasthaus. Ich wollte dich nicht erschrecken.« Der Burgunder runzelte die Stirn und schob den Dolch in den Gürtel zurück. Dann richtete er sich auf und sah Sigfrid an. »Was machst du hier?« fragte er. Da Sigfrid mittlerweile darauf gefaßt war, fand er den heiseren Baß des anderen Jungen weniger fremd. Trotzdem beunruhigte ihn der monotone Singsang.
»Ich bin aufgewacht. Da drin ist es viel zu heiß, um zu schlafen«, antwortete Sigfrid. »Und warum bist du hier?«
»Ich konnte nicht schlafen. Ich bin oft... Nun ja, ich dachte, ich sollte das Haus verlassen und Wache halten. Wir sind hier in der Nähe der Alemannen, und man weiß nie, was geschehen kann..., ohne damit jemanden beleidigen zu wollen.«
»Woher weißt du, daß ich Alemanne bin?« »Deine Aussprache ist unverkennbar, obwohl du die Worte nicht so schrecklich dehnst wie die Alemannen. Bist du zum Teil Franke?« »Meine Mutter kommt aus Franken«, erwiderte Sigfrid. »Wie heißt du? Bist du Gunter oder Hagen?«
Der Burgunder sah ihn einen Augenblick stumm an, ohne das ernste Gesicht zu verziehen. »Wir werden Fragen tauschen«, sagte er, »wie bei einem Rätselspiel. Und der erste, der nicht antworten kann oder will... verliert, na ja, nicht den Kopf..., aber er muß seinen richtigen Namen und seine
Abstammung sagen, so gut er es kann.«
»Abgemacht«, stimmte Sigfrid zu.
Das Kettenhemd des Burgunders klirrte, als er sich umdrehte und seinen neuen Gefährten ansah. »Du fängst an«, sagte er mit seiner befremdlichen Stimme.
»Warum haben einige eurer Krieger so seltsam geformte Köpfe? Liegt es wirklich daran, daß sich Leute von eurem Volk mit Trollen paaren?«
»Das sind zwei Fragen. Welche stellst du?« »Die erste.«
»Das ist eine Sitte, die wir von den Hunnen übernommen haben, nachdem unser Volk von Gotland nach Bornholm gezogen war. Damals lebten wir in den Steppen im Osten an der Grenze zwischen den gotischen Landen und den wilden Völkern. Den zu Kriegern bestimmten Neugeborenen werden die Köpfe eingebunden, damit sie diese Form bekommen. Das macht aus den Männern bessere Krieger. Warum bist du in diesem Gasthaus?«
»Ich bin kein Knecht. Ich bin nur für eine Nacht hier mit Regin, dem Schmied. Er ist mein Pflegevater.« Schnell stellte Sigfrid die nächste Frage, als fürchte er, schon zu viel gesagt zu haben. »Wer ist der seltsame Mann mit dem langen grauen Haar, der mit euch gekommen ist?«
»Er ist unser Sinwist... unser Oberpriester. Er hat seinen Rang, solange er lebt. Er spricht mit den Göttern unseres Volkes und mit den Geistern, die mit uns in den Westen gezogen sind. Wie alt bist du?«
»Dreizehn Winter, eingerechnet den halben Winter nach meiner Geburt. Und du?«
»Zwölf Winter. Ich bin in der Mittsommernacht geboren... also sechs Monate nach dir. Wo hast du gelernt, so gut mit Pferden umzugehen?« »Mein... die Alemannen haben schon immer die besten Pferde gehabt. Sogar Chilpirich und Alprecht kümmern sich um die Zucht und die Pflege ihrer Herden. Warum sind eure Pferde so klein?«
»Wir haben sie aus der Steppe mitgebracht. Sie mögen klein sein, aber sie können unter der Last eines Kriegers in voller Rüstung stundenlang laufen und werden nicht müde. Und sie kommen länger ohne Futter oder Wasser aus als jede andere Rasse. Außerdem kann man sie besser abrichten. Welchen Göttern dient ihr?«
»Die Alemannen verehren Ziw oder Teiwaz als den höchsten Gott. Wir verehren auch Wotan, Freyr, Donar, Fro Ingwe und Frowe Hulda, Voll und Volla, Nerth und die anderen Götter in Asgard und Wanenheim.« Sigfrid schwieg und ließ die Worte in sich nachklingen, die er kaum verstand, und die wie von selbst aus seinem dunklen Bewußtsein hervorkamen. »Ich wende mich an Wotan, wie es auch mein Vater getan hat, denn Wotan ist der Vater meiner Sippe, und er hat alle meine Vorfahren zu sich nach Walhall gerufen. Er schenkt uns den Sieg und bindet uns an die Toten.« Sigfrid holte tief Luft und hustete verlegen.
Er staunte
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