Rheingold
während die Männer tranken und zwischen Prahlen und Streitereien immer wieder Trinksprüche auf den Sieg und auf ihren König ausbrachten. Hagens tiefe Stimme ging im fröhlichen Trubel beinahe unter, als er sagte: »Sigfrid, du kannst nicht länger warten. Du mußt etwas tun.«
»Wirst du etwas tun?« fragte Gunter.
»Ich habe König Alprecht bereits Treue geschworen«, erwiderte Sigfrid. »Ohne seine Erlaubnis könnte ich mich euch nicht anschließen.«
»Verbinde dich jetzt mit unserem Haus!« sagte Gunter unbeeindruckt und streckte Sigfrid den Arm entgegen. Die alte Narbe von der Keilerjagd zog sich weiß über die dicken Muskeln am Unterarm des jungen Königs. »Leiste jetzt den Blutschwur und werde unser Bruder.«
»Warum willst du das? Alles, was wirklich mir gehört, sind mein Schwert und mein Pferd. Ich habe noch keine einzige Heldentat vollbracht. Und um unser Bündnis zu besiegeln, bin ich bereits deiner Schwester versprochen.«
»Ich will es, weil ich weiß, wozu du fähig bist«, sagte Gunter. Er erhob sich und sah Sigfrid eindringlich an. »Wir wollen, daß du zu unserer Familie gehörst. Ein Eheversprechen ist noch keine Ehe. Aber vor allem will ich es, weil ich das Gefühl habe, daß es richtig ist. Ich habe mich bis jetzt immer auf mein Gefühl verlassen, und deshalb habe ich Erfolg.«
Sigfrid blickte auf den Arm, den Gunter ihm immer noch entgegenstreckte.
»Ich werde ihn so lange nicht zurückziehen, bis du ihn umfaßt hast«, sagte der Burgunderkönig. »Wir werden Seite an Seite als Waffenbrüder kämpfen bis zum Tod.«
Sigfrid glaubte plötzlich hinter Gunters Gesicht den Schatten einer Frau zu sehen. Er erinnerte sich, daß man sagte, Krimhild habe besondere Fähigkeiten. Vielleicht hatte nicht nur Stärke und Glück etwas mit Gunters glänzenden Siegen zu tun. Er zögerte immer noch, denn Gripir hatte ihn vor den Gebikungen gewarnt. In diesem Augenblick hörte er Hagen. Seine rauhe Stimme schien ihm unter die Haut zu dringen. Sigfrid wußte nicht genau, ob die Worte laut ausgesprochen wurden oder ob er sie in seiner Müdigkeit träumte: »Vergiß nicht unsere Blutsbande, die uns bereits verbinden.« Wie in Trance streckte Sigfrid die Hand aus und drückte Gunters Arm so fest, daß der König einen Augenblick schwankte, ehe er das Gleichgewicht wiederfand und Sigfrid vom Sitz hochzog. »Kommt alle mit hinaus!« rief Gunter seinen Männern zu. »Kommt und werdet Zeugen unseres Schwurs!« Der Burgunderkönig nahm mit der linken Hand eine Fackel von der Wand und zog mit der rechten Sigfrid mit sich. Sigfrid war immer noch benommen, aber er ließ sich an der Spitze einer Gruppe fackeltragender Krieger aus der Halle führen. Der lange Zug der zuckenden Flammen wand sich hinter ihnen wie eine Feuerschlange durch die Nacht. Hagen ging stumm an Sigfrids anderer Seite; er trug seinen Speer und ein Trinkhorn mit Wein.
Gunter führte seine Krieger zu einer Wiese mit vertrocknetem Wintergras. In der Mitte blieb er stehen, die Krieger bildeten einen Ring um Gunter und Sigfrid. Hagen schnitt mit der Speerspitze zwei gleichlaufende Linien in das Gras. Er kauerte sich nieder, um die Wurzeln unter dem Gras abzutrennen. Mit dem Speer hob er dann die lange Grasnarbe hoch und stützte sie ab, so daß sie einen Bogen bildete, dessen beide Enden immer noch fest mit der Erde verbunden waren.
Hagen trat in den Ring der Gefolgsleute zurück, und Sigfrid stand mit Gunter allein vor dem Grasbogen. Sigfrid blickte auf den Burgunderkönig und sah, daß er unter dem schwarzen Bart unnatürlich bleich wurde. Gunter bewegte stumm die Lippen. Als auch seine Männer still wurden, holte er tief Luft und rief mit lauter Stimme: »Ich, Gunter, aus dem Geschlecht der Gebikungen, rufe euch als Zeugen!« Dann intonierte er in einem erstaunlich hellen Tenor halb singend, halb sprechend die Worte des burgundischen Ritus:
Bruder zu Bruder / geboren aus einem Leib
dort mischt sich / das Blut des Lebens.
Das Band kann nicht / durchschnitten werden
es sei denn, durch den / ewigen Fluch der Götter.
Die Erde ist die Mutter / der Geschlechter der Mächtigen
die Erde ist die Mutter / alle gehen aus ihrem Leib hervor!
Aus einem Geschlecht ist / wer verbunden in ihr
der heilige Grasbogen / ist der Ring unseres Schwurs.
Blutsbrüderschaft / binde unsere Treue auf ewig,
die Erdmutter trägt uns / Menschen, die ihren Leib verlassen.
Wird das Band zerrissen / kann es nur vergolten werden mit Blut
die Götter werden als
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