Rheingold
ruderten mit der anderen weiter. Wieder wurden die Schiffe von Pfeilen getroffen, von denen viele an den Schilden abprallten, einige aber blieben mit vibrierenden Schäften stecken. Sigfrid glaubte zunächst, niemand sei verwundet worden, doch dann sank Klodmar stöhnend in sich zusammen und fiel mit einem lauten Klatschen in das Bilgenwasser. Sigfrid eilte zu ihm und drehte ihn auf den Rücken. In Klodmars linkem Auge steckten die Möwenfedern eines Pfeilschafts. Aus der Augenhöhle sickerte hellrotes Blut. Klodmar war tot.
Die Schiffe liefen auf Grund. Sigfrid ließ Klodmar auf den Planken liegen, warf den Anker über Bord und sprang ihm nach. Während er durch das Wasser watete, hob er Gram hoch über den Kopf. Seine Krieger folgten ihm. Sie schützten sich mit den Schilden vor dem Pfeilhagel und den Wurfspeeren und kämpften sich durch die Wellen, die ihnen bis an die Brust schlugen. Dicht vor dem Ufer blieb Sigfrid stehen und wartete, bis sie ihn eingeholt hatten. Sie nahmen Aufstellung und stürmten mit dem Schrei »Für Wotans Rache und den Sieg!« den Hang hinauf und der feindlichen Streitmacht entgegen, die sie auf dem Terp erwartete.
Sigfrid trug keinen Schild. Ein Schlag mit der Faust des Schildarms genügte, um einen Speerschaft zu zerbrechen, ein Schwert zu verbiegen, einen Schädel zu spalten oder einen Schild zu zerbrechen. Er hörte sich fremde Laute und Schreie hervorstoßen, während er alles zerschlug, zertrümmerte und zerstörte, was ihm in den Weg kam. Es dauerte nicht lange, und er stand blutbeschmiert in der Mitte des großen Dorfes, in dem sich nichts mehr zu bewegen schien. Benommen legte er die Hand auf die Augen, und langsam stellte sich sein Bewußtsein wieder ein. Er hörte seine Männer, die plündernd durch das Dorf liefen und die Frauen und Kinder aus den Häusern zerrten. Sigfrid schob die blutverkrusteten Haare aus dem Gesicht, blickte auf die Leiber der Getöteten und muße sich eingestehen, daß ihn das alles abstieß und mit Widerwillen erfüllte. Dann sah er Perchtwin, der mit einer brennenden Fackel in ein Haus laufen wollte. »Warte!« rief Sigfrid. »Zündet das Dorf noch nicht an.«
Perchtwin fragte erstaunt: »Warum nicht?« »Wir bleiben heute nacht hier. Das ist besser, als im Bilgenwasser zu schlafen. Findest du nicht? Gibt es Tote unter unseren Männern?« »Oto, Adalrat und Arnulf.«
Sigfrid ließ den Blick über die toten Feinde schweifen. »Das ist bitter, aber vermutlich nicht allzu schlecht.«
Perchtwin lachte. »Nein. Die Sachsen waren so damit beschäftigt, an dich heranzukommen, daß sie sich um niemanden sonst gekümmert haben. He, du bist ja ganz blutig. Du siehst aus wie ein Werwolf. Bist du verletzt?«
»Ich glaube nicht. Wir werden unsere Toten auf einem Scheiterhaufen verbrennen. Laß die restlichen Leichen für die Raben und Wölfe, und sag ein paar Frauen, sie sollen Fleisch für uns braten.«
»Recht so, mein Drichten. Und morgen geht das alles hier in Rauch und Flammen auf?« »Ja.«
Perchtwin eilte zu den anderen. Sigfrid blieb noch einen Augenblick unschlüssig stehen, aber dann fiel ihm ein, daß man von ihm erwartete, daß er am Abend die Beute verteilte, und er ging in die große Halle. Sein Wurfspeer hatte das Tor durchschlagen und lag direkt dahinter. Bis jetzt hatte noch niemand die Halle geplündert - vielleicht aus Respekt vor ihm, dem Drichten. Der Drichten der Halle mußte ein eitler Mann gewesen sein; sein Schild war so über und über mit Gold eingelegt, daß er für die Schlacht nicht mehr taugte. Viele seiner Tuniken waren mit Goldfäden bestickt und mit Edelsteinen besetzt. Der Deckel einer kleinen Truhe stand offen. Die Truhe war leer; in der Kammer des Drichten fand Sigfrid schöne Kleider, aber
keinen Schmuck für eine Frau. Sigfrid vermutete, daß die Frowe mit ihren Kostbarkeiten geflohen war, sobald der Kampf begonnen hatte. Er wünschte ihr in Gedanken viel Glück. Mit einem Kleid aus feinem Leinen säuberte er Gram und polierte die Klinge, bis der sich windende Drache in der dunklen Halle schimmerte. Sigfrid häufte die Schätze, die er gefunden hatte, vor den erhöhten Sitz des Drichten und legte den Speer darüber. Er wußte, keiner seiner Männer würde etwas von dem anrühren, was ihr Drichten für sich beanspruchte.
*
Am Abend verbrannten sie ihre Toten zusammen mit den Waffen der gefallenen Männer. Sigfrid blieb am Scheiterhaufen stehen, bis sich die Schwerter verbogen und weiße Eisentropfen schwitzten, das
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