Rheingold
schüttelte stumm den Kopf, die Kinder weinten. »Wer bist du?«
»Ich heiße Herborg«, sagte sie zögernd. Ihre Worte klangen fremd und waren Sigfrid kaum verständlich, als sie mit erstickter Stimme sagte: »Ich bin... ich war die Frau von Wulfrik, dem Fro. Was willst du? Warum hast du das getan?«
»Ich bin gekommen, um Sigmund, den Wälsung, zu rächen«, erwiderte Sigfrid. »Sag mir, wo ich Lingwe, den Sohn Hundings, finde.«
»Schwörst du, daß du meinen Kindern nichts zuleide tust?« fragte die Frau. Ihre Stimme brach, dann schluckte sie und fuhr sich mit den langen Ärmeln des Wollkleides über die Augen. »Ich schwöre es«, sagte Sigfrid ohne Zögern. »Sag mir, wo er ist, und du bist mit deinen Kindern frei.«
»Du mußt nach Osten segeln, wenn der Wind gut ist drei Tage lang, dann erreichst du nach einem Tagesmarsch durch Lingwes Land die Halle, die einmal Sigmunds Halle war«, erwiderte Herborg. »Wie lange brauchst du, um dorthin zu kommen?«
»Fünf Tage, wenn du uns die Pferde läßt. Wie lange es sonst dauert, weiß ich nicht.«
»Nimm alles, was du tragen kannst, steig mit den Kindern auf die Pferde und reite zu Lingwe«, sagte Sigfrid. »Bring ihm die Nachricht: Nicht alle Wälsungen sind tot! Hast du mich verstanden?« Als sie nickte, befahl er ihr: »Wenn einer meiner Männer dich aufhalten will, sag: Sigfrid schickt dich.«
Herborg redete so schnell mit ihren Kindern, daß Sigfrid die Worte in ihrer harten Aussprache nicht verstehen konnte. Die drei liefen eilig durch die Halle, packten ein paar Sachen in einen Beutel und verschwanden wortlos durch die Hintertür, als Hildkar, Kunitrut, Theodipalt und Perchtwin am anderen Ende hereinstürmten. Perchtwins Axt steckte bereits wieder im Gürtel. Er trug eine brennende Fackel, von der schwarzer Rauch aufstieg. Draußen hörte man das Knistern und Knacken der brennenden Häuser.
»Gibt es hier drinnen etwas?« fragte Theodipalt. Er hielt einen Armreif aus dünnem Golddraht hoch. »Für dich. Du hast den Mann erschlagen, dem er gehörte.« Er warf Sigfrid den Armreif zu, der ihn mit einem Finger auffing und geistesabwesend anlegte, während er sich nach einem Stück Tuch umsah, um Gram zu säubern. Die Männer durchsuchten die Halle und verschwanden in der Kammer, kamen aber bald wieder zurück.
»Hier gibt es nicht viel, was sich lohnt mitzunehmen«, brummte Kunitrut enttäuscht. »Du hast keine Frauen gesehen, oder?«
»Es war eine ältere Frowe hier, aber ich habe sie schon weggeschickt«, antwortete Sigfrid. »Sie hat etwas von Pferden gesagt...«
Kunitrut spuckte aus und trat den Speichel in den gestampften Boden der Halle.
»Können wir die Halle jetzt anzünden?« fragte Perchtwin. »Ja«, sagte Sigfrid. Sie gingen hinaus, und Perchtwin hielt die Fackel an das Reetdach. Das feuchte Gras zischte und sprühte Funken, aber bereits nach wenigen Augenblicken flammte es auf. »Was sollen wir denn damit machen?« fragte Hildkar und wies auf die Leichen vor der Tür, denen sie alles weggenommen hatten, was von Wert war.
»Laß sie für die liegen, die sie haben wollen«, erwiderte Sigfrid. Aus dem Augenwinkel sah er, daß Hildkar ein Schauer überlief, aber als er sich nach ihm umdrehte, verzog der junge
Krieger das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. An Hildkars Schulter bildete sich ein dunkler Fleck auf der grünen Tunika. »He, du bist ja verwundet.«
Hildkar griff sich an die Schulter und schob den Wollstoff beiseite. »Ich glaube, es ist nicht schlimm.« Die Wunde war etwa einen Finger lang und nicht tief, Sigfrid sah, daß das Blut bereits begann, eine Kruste zu bilden. »Du hast selbst einen Kratzer im Gesicht«, sagte Hildkar, »da warst du wohl auch unvorsichtig, wie?« Sigfrid befeuchtete einen Finger und rieb sich das getrocknete Blut ab. »Ein Pfeil hat mich gestreift«, sagte er achselzuckend, drehte sich um und stieß beinahe mit Harprecht zusammen. In den grauen Haaren um den Mund des alten Gefolgsmannes hingen ein paar leuchtend rote Tropfen; im ersten Augenblick dachte Sigfrid fassungslos, Harprecht habe Blut getrunken, aber dann sah er den Weinkrug. Harprecht hielt ihn grinsend hoch. »Wer hätte das geglaubt, daß wir hier so einen guten Tropfen finden?« fragte er lachend. »Trink, es wird dir gut tun, du siehst ganz blaß aus. Das Zittern nach der ersten Schlacht, wie? Diesen Kampf hast du beinahe allein gewonnen.« Sigfrid setzte den Krug an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck. »Danke«, sagte er. »Meinst
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