Rheingold
Hintertür seine Kammer erreichte. Die Katze hatte sich von dem Schrecken erholt und kam unter dem Bett hervor. Sie musterte ihn argwöhnisch und sah zu, wie Sigfrid die Tarnkappe aus seiner Kleidertruhe holte und aufsetzte. Als die goldene Scheibe mit den acht Dreizacken auf seiner Stirn funkelte, floh sie miauend wieder unter das Bett.
Es war so einfach, aber es fiel ihm überraschend schwer, sich die Tarnung, die er jetzt brauchte, herbeizuwünschen. Er seufzte und gab sich einen Ruck. Es blieb ihm keine Wahl. Er durfte seine Ehre und die seines Blutsbruders nicht beflecken.
Sein Körper wurde nicht klein, ihm wuchsen keine Hörner oder Flügel, aber als Sigfrid die Kammer wieder verließ, spiegelte sich in dem goldenen Armreif ein fröhliches Gesicht. Sein ganzer Kummer blieb hinter der Tarnkappe versteckt, und er konnte für die Hochzeitsfeier ein liebevoller und glücklicher Bräutigam sein. Seine Stimme würde hell und klar klingen. Niemand würde die goldene Tarnkappe sehen, ebensowenig wie die vorgebeugten Schultern und das vor Schmerz und Qual entstellte Gesicht. Ohne den Schutz der Tarnkappe sah er aus, als habe er eine tödliche Wunde erhalten. Aber so ahnte keiner etwas von den geballten Fäusten, von seinem Zorn und der Trauer, von den bitteren Tränen, die in seinen Augen brannten. Auch Brünhild sollte nichts davon sehen, nichts von seiner Sehnsucht, seiner Liebe ahnen. Sie würde nicht erfahren, daß der Fluch und die Schande seines Verrats ihn bereits überschatteten und sein Leben vergifteten. In diesem schrecklichen Augenblick der bitteren Erkenntnis der Wahrheit war er entschlossen, seine Worte in den Ohren aller fröhlich und unbeschwert klingen zu lassen.
»Das Schicksal nimmt seinen Lauf«, flüsterte Sigfrid, und nur weil der Zauber der Tarnkappe, die geheime, dunkle Kunst der Zwerge auch diesmal wirkte, konnte Sigfrid in die Halle zurückkehren. »Wo bist du so lange gewesen?« fragte Theobalt. »Die Frauen schenken das Bier erst aus, wenn du da bist.« »Ach, sei still«, sagte Hildkar mit gespieltem Ernst, »wir wissen doch alle, wenn es um Frauen geht, hat Sigfrid schnell die Hose voll...« Sigfrid legte die Hand auf Hildkars Kopf und schüttelte ihn übermütig, während er so tat, als würde er lauschen. »Was soll das?« fragte Hildkar und hielt sich den Kopf. »Jetzt höre ich nichts mehr... ich glaube, nun ist auch der letzte Stein herausgefallen, und da drin ist alles leer.«
Hildkar schlug ihm die Faust gegen die Rippen. Sigfrid lachte gutmütig wie alle um ihn herum und ging zu seinem Platz zwischen Gudrun und Hagen. Als er sich setzte, erhob sich seine Braut. Gudrun und Brünhild nahmen die Glaskrüge und füllten Gunter und Sigfrid die Becher mit dunklem Bier. Sigfrid wollte nach dem Becher greifen, aber Gudrun hob ihn zuerst hoch, machte Donars Zeichen über den Schaum und trank einen Schluck.
»Mein Mann, ich gebe dir heiliges Bier«, sagte sie feierlich, »Glück und Freude bringe ich dir mit diesem Becher und Wohlergehen für unsere Ehe.«
Sigfrid nahm den Becher aus ihrer Hand. Am liebsten hätte er ihn in seiner Hand zermalmt und das Bier auf den Steinboden fließen lassen. Aber er sah sehr wohl, daß diesmal keine Zauberkunst oder verborgenes Gift den Trank verhext hatten. Die Tarnkappe sorgte dafür, daß er den Becher hob und rief:
»Ich trinke auf dich, meine Braut und Mutter meiner zukünftigen Söhne!« Er trank den Becher zur Hälfte aus und reichte ihn Gudrun, damit sie ihn leerte und wieder füllte, bevor sie den anderen Männern das Bier ausschenkte, Krimhild ging mit ihrem Krug bereits durch die Halle und füllte die Becher, auch Brünhild und eine Frau mit roten hochgesteckten Haaren. Sigfrid erkannte sie nicht gleich wieder, denn diesmal war Costbera schlank und wirkte gesund. »Deiner Frau scheint es wieder gut zu gehen«, sagte Sigfrid zu Hagen, »wie ist die Geburt verlaufen?«
»Es war nicht leicht. Sie hatte große Schmerzen, aber sie wollte sich nur von unserer Magd helfen lassen und bat um den Beistand eines christlichen Priesters. Heute hat sie zum ersten Mal wieder das Haus verlassen. Sie hat mir einen starken und gesunden Sohn geschenkt. Ich habe ihm den Namen Nibel gegeben.«
Nibel... dachte Sigfrid verblüfft, das bedeutete Dunkelheit, und Nibelheim ist das Reich der Göttin Hel im Innersten der Erde. Es ist die Welt der Toten... »Wird Gudrun mich schlagen, wenn ich sage, daß du für deinen Sohn einen seltsamen Namen gewählt hast?«
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