Rheingold
Drachentöter nicht verwunden.«
»Ich brauche das Kettenhemd nicht, weil ich Angst vor ihr habe.«
»Warum dann?«
»Weil...«
Zum ersten Mal mußte er den Kopf senken, als Hagen ihn fragend ansah. Er starrte auf das trockene Gras zu seinen Füßen und sagte leise: »Weil ich eine Berührung von ihr nicht ertragen könnte. Ich weiß, dann würde ich meinen Schwur brechen und uns allen Schande machen.«
»Bis jetzt hast du das nicht getan?« Sigfrid schwieg.
Hagen löste den Schwertgurt und legte ihn auf den Boden. Er beugte sich vor, und Sigfrid zog ihm das Kettenhemd über den Kopf. Hagen überließ es ihm stumm. »Tu, was in deinen Kräften steht, und ersticke das Feuer, bevor es sich noch weiter ausbreitet. Du und Gudrun, ihr habt den Brand offenbar entzündet, und ich glaube, nur du kannst ihn löschen.«
»Ich werde es versuchen«, antwortete Sigfrid. Hagens Kettenhemd saß ihm eng über Schulter und Brust, aber er konnte sich darin noch bewegen. Hagen legte den Schwertgurt wieder um die graue Tunika und verschwand auf dem Weg zum Fluß hinunter.
Sigfrid ging ohne Umwege zu Brünhilds Zimmer. Als er das Schloß anfaßte, zerbrach es unter seinen Händen, und er trat ein. Brünhild lag zugedeckt auf dem Bett. Sigfrid hätte den Eindruck haben können, daß sie schlief. Er öffnete die Läden und Fenster, ließ Licht und Luft in den Raum, dann zog er die Decken zurück und rief:
»Wach auf, Brünhild! Die Sonne steht hoch am Himmel. Du hast genug geschlafen. Vergiß deine Sorgen und sei glücklich!«
Brünhild setzte sich auf und zog die Decken an sich. Sie war blaß und die Haare ungekämmt. Ihre Augen waren rot und verquollen. Ihre Stimme klang leise und gequält, als sie sagte: »Wie kannst du es wagen, zu mir zu kommen? Niemand hat mich mehr getäuscht als du!«
Sigfrid überhörte ihre Worte und fragte statt dessen: »Weshalb redest du mit niemandem? Was macht dir so großen Kummer?«
»Über meinen Zorn werde ich mit dir reden.« »Du täuschst dich, wenn du glaubst, ich sei dir böse. Du hast den Mann, den du willst. Das hast du in meiner Gegenwart gesagt.«
»Nein. Gunter ist nicht durch das Feuer geritten. Ihn habe ich nicht in der Schlacht geschützt und bin deshalb von Wotan in Schlaf versetzt worden. Der Mann, der in die Burg kam, hat mich getäuscht. Ich glaubte, deine Augen zu kennen, aber mein Blick war getrübt, denn ein Schleier verhüllte meine Seele.«
»Du hast keinen Grund zum Weinen. Ich bin nicht so mächtig wie Gebikas Söhne. Gunter ist ein großer König, und Hagens Taten in Attilas Streitmacht wurden bereits besungen, als niemand außerhalb von Alprechts Halle meinen Namen kannte.«
»Sie haben mir ein großes Unrecht angetan. Erinnere mich nicht daran. Sigfrid, du hast den Drachen getötet, und du bist meinetwillen durch den Feuerring geritten, nicht Gebikas Söhne. Mein Herz hat sich nie nach Gunter gesehnt, sondern sich immer gegen ihn gewehrt, obwohl ich meinen Zorn vor allen verborgen habe.«
»Es wäre undankbar, einen solchen König nicht zu lieben. Denk an dich und denke an das Kind in deinem Leib. Brünhild, nicht Gunter ist an deinem Kummer schuld. Mir scheint, seine Liebe ist mehr wert als Gold.«
»Es ist schlimm genug, daß ich Gunters Kind in mir trage. Aber mein größter Kummer ist, daß ich kein Schwert habe, um es in dein Blut zu tauchen.«
Sigfrid blickte auf sie hinunter. Von weitem hörte man einen Kuckuck rufen, der plötzlich verstummte, als habe ihn ein Raubvogel gepackt. »Darüber mußt du dir keine Gedanken machen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis eine Klinge mein Herz durchbohrt. Dein Schicksal wird nicht viel besser sein, denn du wirst mich nicht lange überleben. Von jetzt an sind unsere Tage gezählt.«
»Aus deinen Worten spricht nicht wenig Bosheit, denn du hast mir alles Glück geraubt. Mein Leben ist mir nicht mehr viel wert. Wer Kummer hat, dem sind die Tage lang.«
Sigfrid kniete neben Brünhild nieder. Er fürchtete sich vor der Berührung, aber er spürte ihren Atem auf seiner Wange. »Du mußt leben. Liebe König Gunter und liebe mich. Ich werde dir alles geben, was ich habe, aber du darfst nicht sterben.«
»Du kennst mich nicht. Keine Frau hat gelernt, dich so zu hassen wie ich.«
Brünhild schloß die Augen und verzog schmerzlich den Mund. »Geh, Sigfrid. Verhöhne mich nicht länger. Wir alle wissen, was geschehen ist. Du solltest der letzte sein, der meine Schande noch vergrößert.«
»Die Wahrheit sieht anders
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