Rheingold
aus«, flüsterte er, »ich habe dich mehr als mich selbst geliebt. Aber ich bin getäuscht worden. Daran läßt sich jetzt nichts mehr ändern. Aber als mein Blick wieder klar wurde, war mein Leid unendlich groß, und ich war verzweifelt, weil du nicht meine Frau bist. Ich habe es so gut wie möglich ertragen, denn als mir die Augen wieder geöffnet wurden, stand ich unter dem geweihten Stein und neben mir Gunter, der mein Blutsbruder ist. Alles Volk war versammelt, es gab damals kein Zurück mehr. Brünhild, warum glaubst du, bin ich so weit weggegangen? Ich konnte nicht ertragen, daß Gunter dein Mann ist, und ich konnte nicht in deiner Nähe sein und dich nicht lieben, in meine Arme nehmen und mit dir glücklich sein. Aber selbst aus der Ferne wußte ich, daß deine Seele aus dem ewigen Schlaf geweckt worden war und daß du lebst. Das allein hat mich glücklich gemacht, denn das bedeutet... wir sind nicht für immer voneinander getrennt. Vielleicht wird sich die dunkle Prophezeiung bewahrheiten, und ich muß bald sterben. Aber deshalb solltest du nicht traurig sein.«
»Du hast zu spät gesagt, daß mein Kummer dich betrübt. Jetzt kann es für uns kein Glück mehr geben.«
Sigfrid überlief ein heißer Schauer und wie im Fieber legte er seine Hand auf ihre Hand. Sie erstarrte und sah ihn an. Er konnte nicht länger schweigen: »Ich möchte, daß du bei mir bleibst. Du sollst meine Frau sein«, murmelte er. Er wurde rot vor Scham und Verlangen. Er zog die Hand nicht zurück, und sie ließ sie ihm. »Das darfst du nicht sagen«, antwortete sie tonlos, »ich möchte in meiner Halle nicht zwei Könige haben. Eher werde ich sterben, als König Gunter zu betrügen. Wir sind uns auf dem Wachenstein wiederbegegnet und haben uns verlobt. Ich habe heiligen Met ausgeschenkt und dir meine Weisheit gegeben. Du hast mir Andvaris Ring als Zeichen unserer Liebe an den Finger gesteckt. Aber jetzt ist all das zerbrochen, und ich möchte nicht mehr leben.«
»Man hatte mir die Erinnerung geraubt, und ich wußte nicht, wer du bist, als du Gunter geheiratet hast. Das ist mein größter Schmerz.«
»Ich hatte geschworen, den Mann zu heiraten, der durch den Feuerring reitet. Ich wollte diesen Eid halten oder sterben.« Sigfrid konnte kaum atmen. Eine Welle schien über seinem Kopf zusammenzuschlagen und ihn in die dunkle Welt von Schmerz, Kummer und Leid hinabzuziehen. Er wußte, die kalte Last, die ihn in die Tiefe zog, war Brünhilds Verzweiflung, die seiner glich. Es waren die Steine zu einer Grabkammer. Er schloß die Arme um sie und drückte sie an sich. Selbst bei all dem Leid empfand er beseligende Freude, als er ihren Körper spürte. Er hörte Brünhild aufstöhnen, als er sie fest an sich drückte. Er wußte, ohne das Kettenhemd würden sie sich auf der Stelle lieben und nie mehr voneinander zu trennen sein.
»Du sollst leben. Ich werde dich heiraten und Gudrun verlassen«, flüsterte Sigfrid, »es ist möglich, eine Ehe zu beenden. Wir können in meiner Halle in den Bergen leben oder dahin ziehen, wo du sein möchtest - nach Britannien, nach Rom, wohin auch immer. Ich werde mich überall behaupten.« Die Vorstellung von einem gemeinsamen Leben leuchtete kurz in Brünhilds Augen auf. Sigfrid hörte sich laut und stoßweise atmen. Dann zersprangen klirrend die Eisenringe von Hagens Kettenhemd, das ihm lose über Brust und Rücken hing.
Brünhild löste sich von ihm, und alle Kraft schien aus seinen Armen gewichen sein. Sie schob ihn von sich fort.
»Ich will dich nicht mehr«, sagte Brünhild, »weder dich noch einen anderen Mann.«
*
Sigfrid kehrte nicht vor Sonnenuntergang zur Halle zurück. Als er durch die Hintertür den Garten betrat und den Weg entlangging, sah er Brünhild am Fenster sitzen und in den dunklen Himmel blicken, so wie er sie verlassen hatte. Er machte einen großen Bogen und lief unter den Bäumen zur Vorderseite, wo Gunter auf ihn wartete. »Weißt du, was sie bedrückt? Redet sie wieder?« fragte der Burgunderkönig beklommen, und sein Herz schlug heftig vor Angst, als Sigfrid ihn mit seinen Augen durchbohrte. »Sie redet. Sie sitzt an ihrem Fenster.«
Gunter nickte. »Ich werde noch einmal zu ihr gehen.« Er wollte gehen, blieb aber stehen und blickte verwundert auf das zerrissene Kettenhemd, das Sigfrid noch immer über Brust und Rücken hing. Erstaunt fragte er: »Sigfrid, warum trägst du ein zerrissenes Kettenhemd?«
»Geh und sprich mit Brünhild.«
Gunter fand seine Frau am Fenster.
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