Rheingold
soll die Hochzeit sein, und ich werde alles tun, um das Schicksal zum Besseren zu wenden.«
Krimhild umarmte ihre Tochter. Gudrun erwiderte diese Geste nur sehr förmlich. Und zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, daß Krimhilds Kraft schwinde wie Bier aus einem lecken Faß. Es blieb nur die starre Hülle, so leblos und kalt wie von einer vertrockneten Spinne.
»Jetzt laß uns in die Halle zurückgehen und Tonara die Geschenke geben, die wir ihr mitgebracht haben, und dann wollen wir uns verabschieden. Wir dürfen hier nicht verweilen, denn schon bald nach unserer Rückkehr erwarten wir Attila mit hundert seiner Krieger in unserer Halle.«
»Du wolltest mich also auf jeden Fall verheiraten«, fragte Gudrun und löste sich aus ihren Armen, »mit oder gegen meinen Willen?« »Uns bleibt keine andere Wahl. Gunter ist stark im Westen, aber schwach im Osten. Die Alemannen können ihn nicht angreifen, aber sie sind eher bereit, gegen uns zu kämpfen als für uns, wenn Attila sie dazu aufruft. Und dann könnten wir diesen Krieg nicht gewinnen.«
»Nein, nur wenn Sigfrid noch leben würde ...« »Daran läßt sich nichts mehr ändern. Deshalb müssen wir alles tun, um uns und unser Volk zu retten.«
»Ich werde meine Sachen packen. Du und meine Brüder, ihr könnt euch inzwischen von Tonara verabschieden. Sie war gütiger zu mir, als sie das hätte sein müssen, und ich schulde ihr großen Dank.«
»Das werden wir nicht vergessen«, versicherte Krimhild.
*
Nur drei Nächte vergingen nach Gudruns Rückkehr nach Worms, als Hagen in das alte Horn der Burgunder blies, um die Ankunft einer Reiterschar anzukündigen. Gudrun lief neugierig die Stufen des alten römischen Wachturms hinauf zu Hagen und beobachtete die Ankunft der Hunnen.
Attila und seine Krieger ritten kleine Steppenpferde wie die Burgunder, bevor sie ihre mit dem Blut der alemannischen Hengste gekreuzt hatten. Gudrun zählte hundert Reiter hinter dem Mann an der Spitze, dessen blutroter Mantel über dem Rücken eines Rotschimmels hing. Sein stählerner Helm schimmerte grau unter den dicken Wolken, die über der Rheinebene lagen.
»Frauen haben bereits schlechtere Ehemänner ertragen müssen«, sagte Hagen plötzlich, »ich hoffe, du hast mehr Freude an deiner Hochzeit als Costbera an unserer Ehe.«
Verblüfft über diese ungewöhnliche Äußerung ihres wortkargen Bruders wußte Gudrun nichts zu sagen. »Du könntest vielleicht etwas freundlicher zu ihr sein«, riet sie ihm schließlich. »Wie?«
Gudrun erinnerte sich daran, wie Costbera vor ihrem Mann zurückgewichen war, wie sie seine Berührung gefürchtet hatte, und verstand plötzlich besser, warum Hagen keine Kinder mehr bekam. »Das tut mir leid«, murmelte sie verlegen. »Es ist nicht deine Schuld.«
Gudrun empfand Hagens Nähe wie einen quälenden, nicht nachlassenden Schmerz. Unwillkürlich lief ihr ein Schauer über den Rücken, aber sie überwand ihre Abscheu und legte ihrem Bruder die Arme um die Schultern. Hagen schwieg, aber ihr war wohler, nachdem sie das getan hatte.
»Die Hunnen«, sagte Hagen, als sie den Wachturm verließen, »halten ihre Frauen vor aller Augen verborgen, und sie haben nicht die geringste Macht. Du darfst nie zulassen, daß Attila glaubt, er kann dich wie eine ihrer Frauen behandeln. Er weiß, daß unsere Lebensweise sich von ihrer in vielen Dingen unterscheidet, denn nicht wenige aus dem Westen kämpften an der Seite seiner Krieger. Er läßt alle das tun, was ihnen von ihrer Herkunft her richtig erscheint, wenn sie darauf bestehen. Erscheine also zu den Festen in der Halle und fülle den Männern die Becher und Gläser mit Bier. Bewege dich frei unter ihnen, wie du es auch hier tust. Als Attilas Frau mußte du keinen aus seinem Gefolge fürchten. Wenn dich etwas bekümmert oder wenn dich jemand beleidigen sollte, dann geh zu Dietrich oder seinem Gefolgsmann Hildebrand. Niemand ist vertrauenswürdiger als sie, und du kannst sicher sein, daß sie dir helfen und dich beschützen... ohne Waldhar wäre ich dort in der ersten Zeit sehr unglücklich gewesen. Im Umgang mit Attila darfst du nie Schwäche oder Nachgiebigkeit zeigen, denn wenn er erst einmal glaubt, du läßt dich einschüchtern, dann wird er dir nie vertrauen und dich nicht achten. Aber nur wenn du Attila mit deiner unbeugsamen Haltung beeindruckst, wirst du bei ihm ein geachtetes und freies Leben haben.«
Gudrun fragte ihren Bruder: »Bist du damals wirklich glücklich gewesen?«
Hagen antwortete nicht
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