Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
Vom Netzwerk:
bin.«
    »Wir danken dir«, sagte Gunter ernst, »ich denke, du wirst es uns nicht übelnehmen, wenn ich sage, daß wir die Verpflegung für uns mitgebracht haben .. . wir zweifeln nicht an deiner Gastfreundschaft, aber wir fanden es unhöflich, mit dieser großen Schar ohne Ankündigung zu dir zu kommen. Was du uns geben kannst, ist uns eine große Ehre anzunehmen.«
    »Ich freue mich über eure Rücksichtnahme. Aber deine Männer werden sich nach einer so langen Reise bestimmt über frische Speisen freuen. Hol sie herein ...« Während Tonara mit Gunter sprach, bedeutete Krimhild Hagen, ihr zum Brauhaus zu folgen. In dem großen Raum war es sehr warm und es roch nach Bier, denn überall brodelte und gurgelte die angesetzte Hefe. Krimhild ging an den Fässern entlang und klopfte mit dem Ring an ihnen, bis sie ein Faß fand, das noch nicht ganz leer zu sein schien.
    »Geh hinunter zum Schiff und hol mir die kleine Truhe, die ich mitgebracht habe. Dann laß dir von Tonara ein Trinkhorn geben«, befahl sie ihrem Sohn.

    *

    Gudrun schlief nicht in dieser Nacht. Ihre Kammer hatte kein Fenster, deshalb wußte sie nicht, wie spät es war. Sie sah nur, daß die Fackeln fast ausgebrannt waren, als die Tür aufging, und Krimhild geräuschlos eintrat. Ihre langen Fingernägel trommelten leise gegen ein Trinkhorn, das sie in der Hand hielt. »Du kannst nicht schlafen«, sagte sie zu ihrer Tochter. »Wie könnte ich?« antwortete Gudrun bitter. »Wohin ich auch fliehe, keiner läßt mich in Ruhe. Wie sollte ich da schlafen können?« »Ich habe dir etwas gebracht, was dich beruhigen wird. Trink das, dann kannst du schlafen.«
    »Du meinst, dann bin ich tot?« Sie lachte gequält. »Eine andere Ruhe kann ich mir nicht mehr vorstellen.«
    »Du wirst nicht sterben. Du sollst leben und glücklich sein.«
    »Davon habe ich bis jetzt nicht viel erlebt.« Krimhild setzte sich auf den Bettrand und hielt ihr das Trinkhorn vor das Gesicht. Gudrun sah viele miteinander verwobene Runen, die sich wie Zweige um das Horn zogen. Man wußte nicht, wo sie anfingen und wo sie endeten. Es gelang ihr nicht, die rot gefärbten Runen zu lesen. Ein seltsamer Geruch stieg ihr in die Nase... halb anregend, halb abstoßend.
    »Was hast du in diesen Trank gemischt? Ich werde ihn nicht trinken. Ich glaube, in diesem Bier ist Gift.«
    »Trink, meine Tochter. Wann habe ich dir je geschadet? Ich habe dir den Mann geholt, den du haben wolltest. An seinem Tod war ich nicht beteiligt. Wäre ich in Worms gewesen, hätte ich Gunter und Hagen von dieser Tat abgehalten.«
    Gudrun schob das Trinkhorn weg und setzte sich auf. Der würzige Duft des Tranks verbreitete sich im ganzen Raum, und sie atmete ihn widerwillig mit jedem Zug ein, während Krimhild leise, aber eindringlich sagte: »Ich möchte, daß die Wunden heilen, die durch Sigfrids Tod entstanden sind. Nichts soll mehr so schlimm sein, wie es gewesen ist.«
    Gudrun konnte dem Geruch nicht länger widerstehen. Sie atmete ihn tief ein, denn sie spürte, wie die Last auf ihrer Brust sich aufzulösen begann und ihr leichter ums Herz wurde. Krimhild drückte ihr das Trinkhorn in die Hand. Gudrun blickte in das Gefäß. Sie meinte etwas Kaltes, Bitteres und Scharfes zu ahnen. Doch der Geruch reizte sie so sehr, daß sie wenigstens einen kleinen Schluck probieren wollte. Aber als sie das Horn an die Lippen setzte, trank sie wie unter einem Zwang, bis das Trinkhorn leer war. 
    Das eiskalte Bier wärmte sie auf wundersame Weise. Die quälende Spannung wich von ihr. Alle Muskeln schienen weich zu werden. Die Brust war frei, und sie konnte tief und leicht atmen. Langsam sank Gudrun auf das Kissen und zog die dicke Decke über sich. Kummer und Schmerzen, das unsägliche Leid und die endlose Trauer wichen von ihr und entschwanden in weite Ferne, bis sie nicht mehr daran denken konnte. »Was war in dem Bier?« fragte sie schläfrig.
    Die Augen ihrer Mutter leuchteten wie schwarze, glänzende Steine. Sie legte ihrer Tochter die Hand auf die Stirn, und Gudrun glaubte, die kühlen, trockenen Federn einer Schwalbe zu spüren. Das Gesicht ihrer Mutter wurde zu dem kleinen Kopf eines Vogels. Und als Krimhild sprach, schienen die Worte zu tanzen und sie in einen leuchtenden Reigen einzuspinnen wie in einen Kokon aus reiner
    Seide, bis Gudrun nichts mehr hörte, als nur noch das Rauschen von Flügeln.
    Du hast das alte Horn / den Tanz der Runen 
    Bis zur Neige geleert / dein Kummer schwindet 
    Deine Erinnerung verblaßt / du

Weitere Kostenlose Bücher