Rheingold
sofort. Als sie sich dem Stadttor näherten, sagte er leise: »Nur einmal in meinem Leben war ich so glücklich wie bei den Hunnen.«
Am Tor warteten die Wachmannschaften auf den Befehl, die beiden großen Flügel zu öffnen. Hagen nickte, das Tor ging auf, und die Hunnen ritten in die Stadt.
»He, Attila!« rief Hagen und trat vor den Mann an der Spitze. Gudrun konnte das Gesicht des Hunnenkönigs unter dem Helm nicht erkennen. Aber die Form des Helms verriet, daß sein Hinterkopf so verlängert worden war, wie die Burgunder es auch mit ihren Kriegern taten. Die scharlachrote Tunika spannte sich über den breiten Schultern und über dem Gürtel wölbte sich ein kleiner Bauch. »He, Hagen!« erwiderte Attila. »Bei mir wäre es dir besser ergangen. Ein Auge verlieren, ist ein hoher Preis.«
Zu Gudruns Überraschung sprach er ein klar verständliches Latein, zwar etwas schleppend, aber nicht so guttural wie die Burgunder. »Waldbar ist es schlimmer ergangen als mir«, erwiderte Hagen. »Das habe ich gehört. Wer ist die Frau neben dir?« Er lachte und schüttelte den Kopf. »Wieso laßt ihr die Frauen auf die Straße? Ihr solltet sie in den Frauengemächern halten wie wir. Das kannst du mir glauben, ich werde deine Schwester auf Schritt und Tritt bewachen lassen.«
»Ich bin Gudrun, die du heiraten möchtest!« Gudrun trat neben ihren Bruder und blickte den Hunnen mit funkelnden Augen an. »Wenn du glaubst, du kannst mir deine Sitten aufzwingen, dann rate ich dir, reite auf der Stelle zurück und nimm dir eine eurer Frauen, aber mich bekommst du nicht!«
Zu ihrer Überraschung lachte Attila. Sein lautes Lachen hallte unter dem Helm wie aus einer tiefen Höhle. »Du mußt keine Angst vor mir haben, kleine Frowe«, sagte er, »wenn du gut zu mir bist und mir den Gehorsam einer Frau nicht verweigerst, werde ich dich nicht schlagen, sondern ich überschütte dich mit dem Gold aus den Beutezügen meiner Kriege. Komm jetzt und lauf an meiner Seite.«
»Ich werde bestimmt keine Angst vor dir haben. Aber bei uns ist es nicht Sitte, daß die Frau von ihrem Mann wie eine Sklavin behandelt wird. Das sollst du wissen, bevor du beschließt, mich zu heiraten. Wenn ich an deiner Seite zur Halle meines Bruders kommen soll, dann mußt du mich auf dein Pferd setzen oder mir ein Pferd geben ... du bist doch bestimmt nicht zu arm, um mir ein Pferd zu geben.«
»Das bin ich nicht. Du sollst auf dem Rückweg die besten Pferde reiten, wenn du im Sattel und nicht im Wagen sitzen willst. Aber jetzt frage dich, willst du vor mir im Sattel sitzen?«
»Ja!«
Attila sprang vom Pferd, legte beide Hände um ihre Hüfte und hob sie vor seinen Sattel. Im nächsten Augenblick saß er hinter ihr und hob sie auf seinen Schoß. Dort saß sie bequem, nur der Schwertgriff drückte gegen ihre linke Hüfte. Nach dem langen Ritt roch Attila nicht besser und nicht schlechter als jeder andere Mann. Auch der ranzige Geruch war Gudrun vertraut, denn viele der Burgunder fetteten sich die Haare mit Butter ein.
»He, Hagen!« rief ein junger Gote hinter Attila. »Wohin reiten wir?«
»Folgt mir.«
Als die Hunnen sich Gunters Halle näherten, wo sich der Burgunderkönig mit allen seinen Kriegern versammelt hatte, sagte Attila zu Gudrun: »Halte dich jetzt gut fest«, und legte schützend einen Arm um sie. Sie umfaßte seinen Unterarm mit beiden Händen und staunte, als der Hengst plötzlich stieg und dann aus dem Stand in vollen Galopp fiel. In geschlossener Formation mit Attila an der Spitze jagten die Hunnen bis zu Gunters Halle.
»Attila!« riefen sie alle wie auf Kommando und standen still. Keiner regte sich, als Attila rief: »He, Gunter! Bin ich bei dir willkommen?«
»Da meine Schwester dich begrüßt hat, und du in Frieden kommst, bist du in meinem Reich und in meiner Halle willkommen.«
»Wo können wir unsere Pferde unterbringen?« »Für deinen Hengst haben wir Platz in unseren Ställen und auch für die Pferde von Dietrich und Hildebrand, denn mein Bruder ist ihnen besonders zugetan. Hagen wird deinen anderen Männern zeigen, wo sie ihre Pferde hinbringen können.«
»Gut.«
Attila ritt auf den Hof, und Gudrun sah zwei Krieger, die ihm folgten. Der jüngere, dachte Gudrun, muß Dietrich sein. Er war blond und trug einen rötlichen Umhang über einer hellen Tunika. Sie hatte geglaubt, Dietrich sei älter. Sie kannte viele Lieder über ihn. Der andere wirkte groß und kräftig, seine Haare und sein langer Schnurrbart waren weiß. Gudrun
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