Rheingold
deinem Bruder Ehre machen«, erwiderte Hagen und hob den Schild auf seine Schulter. So robust er war, so leicht fühlte er sich an. Hagen wußte, er hatte noch nie einen besseren Schild gehabt.
Folker stand auf, nahm die Harfe von der Bank und sagte: »Frowe, du hast einem wahren Helden ein wahrhaft edles Geschenk gemacht.
Jetzt möchtest du vielleicht das Lied hören, das wir in unserem Land singen. Es erzählt, wie König Alarich Rom erobert hat.«
Gotlind wischte sich die Tränen mit dem Handrücken ab und sagte leise: »Es wird alle freuen, wenn du dein Lied singst.« Sie füllte Folker den Becher, setzte sich auf ihren Platz und hörte zu. Doch ihre Gedanken kehrten in eine andere Zeit zurück.
*
Rodger wollte, daß die Burgunder länger blieben, aber Hagen und Gunter beschlossen, am nächsten Morgen aufzubrechen. Der Drichten versprach, seine Gefolgsleute zusammenzurufen, um den Burgundern in zwei Tagen zu folgen, wenn Attila das Julfest feierte.
Es wurde bereits dunkel, als die Burgunder im leichten Schneetreiben das Lager der Hunnen um Attilas Halle erreichten. Ein hoher Palisadenzaun umgab die Zelte und die große aus Holz gebaute und mit Schilf gedeckte Halle. Das Tor war verschlossen. Hagen hörte aus der Halle das Lachen und Lärmen der Hunnen. Gunter ritt zum Tor und schlug mit dem Schwertgriff dagegen. »Öffnet!« rief er. »Eure Gäste sind da!«
»Ich glaube, sie hören dich nicht«, sagte Hagen, »Folker, gibst du mir noch einmal deine Axt?« Der Sänger griff unter den dicken Fellmantel und reichte sie ihm. Hagen schlug einen Schlitz in das Tor, steckte dann die Klinge hindurch, hob den Riegel und schob das Tor auf.
»Das hättest du nicht tun dürfen«, rief Wingi und ritt zum Tor, »wagt euch nicht weiter, bis wir die Galgen für euch aufgerichtet haben. Ihr seid mir bis jetzt gefolgt, aber bald werdet ihr hängen.«
»Dann wird es dir noch schlechter ergehen«, erwiderte Hagen. Wingi setzte sein Pferd in Galopp, aber Gunter hatte ihn schnell überholt und schnitt ihm den Weg ab. Wingi wollte entfliehen, aber die Burgunder umzingelten ihn, Hagen traf Wingi mit der Axt am Hinterkopf, und er stürzte vom Pferd. Vermutlich hatte er bereits das Bewußtsein verloren, als Iring und Dankwart neben ihm von ihren Pferden sprangen, denn er wehrte sich nicht mehr, als sie ihn erschlugen. Sie legten den Toten auf Dankwarts Pferd, Dankwart saß auf und ritt mit der Leiche in den Wald. Hagen sagte zu Gunter: »Wir müssen auf einen Hinterhalt gefaßt sein. Unsere Leute sollen in Attilas Halle zusammenbleiben und sich möglichst nicht aus unserer Nähe entfernen.«
Gunter nickte und gab gerade leise den Befehl an seine Truppe, als das Tor der Halle aufging, und zwei Männer herauskamen. Im Gegenlicht sah man nur ihre dunklen Umrisse. Gunters Hand griff zum Schwert, aber Hagen bedeutete ihm zu warten. »Das sind Dietrich und Hildebrand. Von ihnen haben wir am wenigsten zu befürchten.«
Die Burgunder ritten schweigend auf die Halle zu. Als sie näherkamen, rief Dietrich: »Seid willkommen! Ich glaube, Attila hat euch noch nicht erwartet.«
»Wie will er uns willkommen heißen?« fragte Hagen. »Noch haben sich die Hunnen nicht bewaffnet...«, der Gote blickte auf Hagens Kettenhemd, »wie ich sehe, bist du so vorsichtig wie früher. Es würde mich nicht überraschen, wenn du diesmal nicht vorsichtig genug sein kannst. Wo ist Wingi?«
»Er hatte unterwegs einen Unfall.«
»Dann ist die Welt etwas sauberer«, brummte Hildebrand. Gunter saß ab und führte sein Pferd zu Dietrich und Hildebrand. »Wie geht es Gudrun?« fragte er.
»Sie lebt, und ihr geht es gut«, versicherte ihm Dietrich, »hast du Gründe, daran zu zweifeln?« »Die Winter sind kälter hier als in Worms. Und als Kind machte ihr die Kälte oft zu schaffen.« »König Gunter«, sagte Dietrich, »du und Hagen, ihr könnt Hildebrand die Pferde geben und in die Halle kommen, dann werdet ihr eure Schwester sofort sehen.«
»Danke, aber wir wollen mit unseren Leuten zusammenbleiben«, erwiderte Hagen. Dietrich lächelte. »Du hast dich nicht verändert. Also kommt mit, wenn ihr die Pferde versorgt habt, dann könnt ihr in die Wärme. Es ist zu kalt, um hier draußen zu bleiben.«
Zu Hagens Überraschung legte ihm Dietrich den Arm um die Schulter, wie er es früher manchmal getan hatte, und führte sie zu den Stallungen. Attilas Halle war sehr viel größer als Rodgers Halle. An den dicken Wänden aus Eichenholz hingen Wandteppiche und
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