Rheingold
wertvolle Beutestücke. Hagen glaubte, einige Arbeiten von Gudrun zu erkennen, andere kunstvolle Stickereien schienen aus Rom zu stammen. Nach der klaren kalten Luft war es in der Halle erstickend warm. Goten und Hunnen saßen zusammen auf den Bänken. Sie lachten und lärmten so laut, daß man kaum ein Wort verstand. Dietrich führte sie zum Ende der Halle, wo Attila und Gudrun saßen. Hagen sah sofort, daß Gudrun sehr schmal geworden war. Sie schien keine Angst zu haben, sondern glich eher einer Wildkatze, die wachsam ist, weil sie Gefahren spürt oder auf Beute lauert. Sie saß aufrecht und stolz neben Attila, der sehr groß und derb wirkte. Der lange Hinterkopf unter dem schütteren grauen Haar hätte eine krankhafte Wucherung sein können. Auch an das verschlagene Lächeln erinnerte sich Hagen gut. Aber er freute sich, als Gudrun bei ihrem Anblick strahlte.
Erst daß sie im nächsten Augenblick erschrak und versteinerte, entsprach seinen Erwartungen. Hagen sah, wie ihr das Blut aus dem Kopf wich. Gudrun wußte demnach, was
nun geschehen würde. Sie hatte sich halb erhoben und zögerte unsicher, ob sie sich setzen oder aufstehen sollte. Hagen war auf alles gefaßt, obwohl er Attilas Pläne nicht kannte.
Deshalb blieb ihm nicht anderes übrig, als zu warten und wachsam zu beobachten, was geschehen würde. Er hob die Hand mit Andvaris Ring und hörte, wie Attila zischend den Atem ausstieß, als das funkelnde Gold im Fackelschein glitzerte.
»Wir bringen dir deinen Ring, wie du es wolltest«, sagte Hagen, aber er mußte seine Worte zweimal wiederholen, bevor Gudrun ihn verstand. Hagen brachte es nicht über sich, den Ring vom Finger zu streifen. Er hielt Gudrun die Hand hin, die nicht leichter wurde, als das Gold nicht mehr am Finger saß, so als sei der Ring nur unsichtbar wie eine Tarnkappe geworden.
»Seid willkommen bei uns!« rief Attila. »Habt ihr auch das Gold mitgebracht, das eurer Schwester gehört? Ich meine, den Schatz, den Sigfrid, der Drachentöter, gewonnen hat...« Attilas Stimme übertönte mühelos den Lärm in der Halle. »Unsere Antwort kennst du bereits«, erwiderte Gunter. Hagen wußte, daß nur wenige Hunnen in der Halle aßen. Die meisten lebten in ihren Zelten. Die Hunnen in der Halle gehörten zu Attilas persönlicher Streitmacht, aber da es draußen sehr kalt war, saßen an diesem Abend wohl die meisten hier. Ein kleiner dunkler Mann in Häuten und klirrenden Holz- und Knochenketten erhob sich und bedeutete den Kriegern, die Bänke in der Nähe der Ehrentafel zu verlassen. Hagen hätte den alten Schamanen kaum wiedererkannt, und er konnte kaum glauben, daß er noch lebte. Der Schamane verbeugte sich kurz vor Hagen und verschwand dann in einer dunklen Ecke neben dem Feuer.
»Setzt euch! Ihr könnt dann meinen Männern eure Waffen geben. Die Mittwinternacht ist ein Fest des Friedens, und ihr solltet euch in meiner Halle wohl fühlen. Auch wir sind nicht bewaffnet.«
Gunter sah Hagen fragend an, der sofort den Kopf schüttelte. »Es ist bei uns nicht Sitte, unbewaffnet in der Halle eines anderen Drichten zu sitzen, auch wenn wir in Frieden gekommen sind«, erwiderte daraufhin der Burgunderkönig. »Das müßte dir schon aufgefallen sein, als mein Bruder noch bei dir lebte.«
»Ist das wahr?« fragte Attila Gudrun. »Ja.« »Gut, dann setzt euch.«
Gunter, Hagen, Giselher, Gernot und Folker nahmen neben Dietrich und Hildebrand an der Ehrentafel Platz. Die anderen Burgunder drängten die Hunnen von den Bänken in der Nähe und blieben wie verabredet zusammen.
»Seid ihr durch Rodgers Land gekommen?« fragte Dietrich, als Gudrun die Trinkhörner mit Rotwein füllte und dann den Burgundern die Becher, die sie mitgebracht hatten.
»Ich werde seine Tochter heiraten«, antwortete Giselher, »wir hätten bereits geheiratet, wenn Hagen unseren Mönch nicht in die Donau geworfen hätte.«
Dietrich sah Hagen an und schüttelte den Kopf. Aber Hagen bemerkte, wie er belustigt lächelte. »Aber ihr habt die Verlobung beschworen und auf die Hochzeit getrunken?«
»Oh ja. Sie werden auf dem Rückweg mit uns nach Worms kommen, und dort soll dann die Hochzeit stattfinden.«
»Das ist eine große Ehre für Rodger«, sagte Dietrich ernst, »warum ist Rodger nicht mit euch gekommen?«
Hagen antwortete: »Er hat versprochen, mit seinen Leuten in zwei Tagen zum Julfest hierzusein. Möchtest du ihn früher sehen?« »Wenn er so spät kommt, wird er das Fest verpassen!« rief Attila. »Da ihr heute
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