Rheingold
Kammermägden, die Schwestern Frida und Wynfrid, traten aus den Schatten. Das Hellgrün und Dunkelgrün ihrer Umhänge verwandelte sich im Fackelschein in ein gespenstisches Schwarzrot. Sie nahmen Fackeln aus den Haltern, Alflad trat zwischen die beiden, und sie gingen durch die Tische zum Ausgang, gefolgt von Siggeir mit Siglind und Wals. Die Gefolgsleute erhoben sich ihrem Rang nach, Sachsen gingen neben Goten. Die in Felle gehüllten Männer aus dem Norden wirkten im Dunkel riesig und erschreckend, als seien sie halb Tiere, halb Menschen. Sigmund roch das schlecht gegerbte Fell des Goten neben ihm und den Schweiß dieses massigen Mannes, der leicht schwankte und wegen einer alten Bein wunde hinkte. Sigmund bewunderte seine Schwester, wenn er sich vorstellte, daß sie den Rest ihres Lebens unter diesen wilden Nordmännern leben würde.
Siglinds weiße Gestalt leuchtete an der Spitze des Zuges, als sie über die Wiese den Hügel hinauf zu den Bäumen gingen. In der violetten Dämmerung sah Sigmund die Wachfeuer auf dem entfernten Hügel brennen. Verschwommene Schatten tanzten um die
Flammen und sprangen durch die Feuer, denn das brachte den Segen von Frowe Hulda und schützte vor der Macht der Hexen, die in dieser Nacht ihr Unwesen trieben. Überall muhten die Rinder, als ihre Besitzer sie durch den Rauch und die Flammen trieben, um Krankheiten und böse Geister zu verjagen, die dem Vieh schaden konnten. Das Zwielicht schien von Zauberkraft erfüllt, und Sigmund spürte eine prickelnde Spannung. Ihm stockte der Atem vor Aufregung, denn er hatte das Gefühl, auf einer Schwelle zu stehen zwischen dem, was er wußte, und etwas anderem, das ihn in eine nebelhafte Welt zog, deren Schatten um ihn herum gerade anfingen, Wirklichkeit zu werden. Ein kleiner grauweißer Nachtfalter flatterte an seinem Gesicht vorbei. Seine Flügel streiften sanft Sigmunds Wangen, und ein Schauer lief ihm über den Rücken.
Das Feuer war bereits entzündet. Es brannte auf dem geweihten Stein. Die Flammen ließen den Quarz funkeln, warfen tiefe Schatten in die Spalten und Risse und zuckten wie Irrlichter über dem Gold des Schwurrings, der vor dem Feuer ausgelegt war. Die Männer bildeten schweigend einen Kreis. Man hörte nur das Rascheln von Gewändern, während sie unsicher von einem Fuß auf den anderen traten. Hier, an diesem heiligen Ort, spürte Sigmund die herauf drangende Kraft des Sommers, die Macht der Frowe, die von der Erde aufstieg und sich wie eine große Schlange um die Lichtung legte. Alflad stand hinter dem Stein, Frida und Wynfrid hielten zu beiden Seiten die Fackeln. Hinter ihnen erhob sich die schattenhafte Gestalt einer großen Stute, deren Zügel Alflad in der einen Hand hielt. »Heilige Göttin!« rief Alflad, und ihre sanfte tiefe Altstimme tönte weit über die Lichtung. Sigmund fühlte den Widerhall in der Erde unter seinen Füßen, und er spürte eine prickelnde Wärme wie eine geheimnisvolle Kraft vom Boden aufsteigen. »Schenke deinen Segen, du allesgebende Erde. Höre die Worte, die in dieser Nacht gesprochen werden. Behalte sie im Gedächtnis, was immer auch geschehen mag. Frowe Hulda, Nerthus, Fro Ingwe segnet diese Heirat. Möge sie fruchtbar sein, voll Glück und Freude. Haltet Siggeir und Siglind bis zum Tag ihres Todes zusammen. Und möge dieser Tag fern sein. Wir geben euch für die Heirat diese Gabe, diese Stute, damit ihr sie mit vielen starken Kindern segnet.«
Der Dolch funkelte rot in ihrer Hand, als sie sich umdrehte und der Stute mit einer einzigen kräftigen Armbewegung die Kehle durchschnitt. Dunkles Blut schoß über den Ärmel ihres Kleids und zischte im Feuer auf dem Stein. Frida stand mit der hölzernen Segensschüssel bereit und fing das dampfende Blut auf, als die Stute in die Knie sank und dann vor den aufgeschichteten Steinen auf die Erde fiel. Wynfrid reichte ihrer Herrin einen Kiefernzweig mit langen spitzen Nadeln. Alflad tauchte ihn in das Blut und schrieb eine Rune. Dann zog sie den tropfenden Zweig heraus und besprenkelte die heiligen Steine. Auf ein Zeichen von ihr faßten sich Siggeir und Siglind über dem goldenen Schwurring vor dem Feuer an den überkreuzten Händen.
»Bei Ingwi-Freyr, dem Vater meiner heiligen Ingling-Sippe, dank dessen Macht das Glück in unserem Land durch Fro und Frowe, die dort herrschen, bewahrt wird, bei Hulda-Freyja und allen Göttern und Göttinnen schwöre ich, dich als meine Frau in Ehren und voll Vertrauen zu halten. Ich werde an deiner Seite
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