Rheingold
stehen, solange ich lebe und dir nie Schaden zufügen«, sagte Siggeir mit bebender Stimme. »Bei Frowe Hulda, Fro Ingwe und allen Göttern und Göttinnen«, wiederholte Siglind, »schwöre ich, dir als meinem Mann zu folgen ...«, sie hielt einen Moment inne und fuhr dann mit fester Stimme fort, »zu folgen in Ehren und voll Vertrauen. Ich werde an deiner Seite stehen, solange ich lebe und dir nie Schaden zufügen.« »So soll es sein«, sagte Alflad. Ihre weiche, tiefe Stimme klang geheimnisvoll und fast wie ein überirdischer Gesang. Sie besprengte mit dem Blut aus der Segensschale die blonden Köpfe und die verschlungenen Hände von Siglind und Siggeir. »Nun sind an diesem heiligen Ort die Schwüre gesprochen. Mögen sie nie gebrochen werden! Jetzt geht! Gesegnet sei euer Weg! Frowe und Fro, kehrt zurück in eure Halle und lebt in Frieden und Freuden.«
Alle schwiegen einen Augenblick. Nur der Wind raschelte in den vom Mondlicht versilberten Blättern. Sigmund fröstelte es plötzlich. Er hob
den Kopf und glaubte flüchtig, zwei Schatten mit schwarzen Flügeln am Himmel kreisen zu sehen. Wotan, Vater unserer Sippe, betete er, segne die Heirat meiner Schwester. In den Tiefen seines Bewußtseins glaubte er, zwei Wölfe heulen zu hören, und wieder lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken.
Der Wind wurde stärker und blies die Flammen auf Siglind und Siggeir, bis Siglind seine Hand losließ, um sich die Tränen abzuwischen, die der Rauch ihr in die Augen wehte. Das brach den Bann der versammelten Krieger. Wals und Siggeir traten vor und hoben die tote Stute auf ihre Schultern. Die Männer folgten ihnen zur Halle, wo das Wasser in einem großen Kessel über den Wurzeln des Apfelbaums bereits kochte. Leise keuchend ließen die beiden Drichten den schweren Leib unter den blühenden Baum gleiten. Siggeir streckte und reckte sich, dann rieb er mit beiden Händen die schmerzenden Schultern. Schweiß und das Blut der Stute flossen in roten Rinnsalen über seine Stirn. Die dunklen Tropfen auf Siglinds weißer Haut und dem weißen Kleid waren bereits getrocknet; es waren die Brautzeichen, die man in allen Neun Welten als Runen las. Der gotische Drichten umfaßte seine Braut mit beiden Händen, hob sie hoch und küßte sie unter dem lauten Jubel der Männer, die zum Zeichen des Beifalls die Eichentische mit ihren Fäusten bearbeiteten. »Feiern wir!« rief er, »feiern wir zu Ehren meiner Braut und der Göttinnen, die uns eine gute Heirat schenken. Freude und Glück meinem neuen Vater Wals!«
»Freude und Glück meinem neuen Sohn Siggeir und seiner Braut!« erwiderte Wals und hob sein Horn, als Alflads Mägde, die Frauen und Töchter seiner Gefolgsleute mit Krügen erschienen und den Männern Bier und Met einschenkten.
Alflad, Frida und Wynfrid zerlegten geschickt die Stute und warfen das Fleisch zum Kochen in den Kessel. Die beiden Kammermägde in den grünen Kleidern rührten den Topf, während Alflad die Halle verließ und mit getrockneten Kräutern und Wurzeln zurückkehrte, die sie in das brodelnde Wasser warf. Sofort verbreitete sich ein angenehmer würziger Kräutergeruch in der Luft. Sigmund sah neugierig zu, wie sie über dem Kessel geheimnisvoll etwas murmelte, aber die Worte waren zu leise, um sie zu verstehen. Er wußte, sie rief die Göttinnen der Frauen an. Das war die Aufgabe einer Frau und ein Wissen, das einem Krieger nicht zustand.
Auf den Tischen standen Brot, Käse und in großen Schalen kleine wilde Erdbeeren. Sigmund und sein Bruder nahmen Holzteller und luden sie sich randvoll. Einer der Goten, ein riesiger Mann mit kahlem Kopf, der in seinem Fellumhang noch größer wirkte, packte sich Kaitlin, als sie ihm den Krug füllte. In ihr lautes Protestgeschrei mischte sich schrilles Kichern, als er die dicke Magd auf seinen Schoß setzte. Sigmund sah, wie Siggeir seinem Mann einen warnenden Blick zuwarf, der ihn aber nicht beachtete. Es war die Walpurgisnacht, und nur die hochgeborenen Jungfern würden von dem Spiel ausgenommen sein. Siggeir möchte, daß seine Leute keinen Ärger machen, dachte Sigmund. Niemand will bei diesem Fest einen Kampf. Ein plötzlicher Windstoß ließ die Türen der Halle gegen die Wände schlagen. Der Rauch des Kochfeuers und der Dampf aus dem Kessel wirbelten um den Apfelbaum; die Äste verschwanden in einer dunstigen Wolke. Mit dem Wind erschien eine große, barfüßige Gestalt in einem dunkelblauen Umhang. Die Kapuze fiel auf den Rücken des Mannes, der einen
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