Rheingold
den wartenden Kriegern vor der Halle seinen Platz neben Bertwini ein. Die großen, geschnitzten Torflügel öffneten sich, und Wals trat heraus in den Sonnenschein. Geblendet von dem grellen Licht kniff er die klaren blauen Augen zusammen. Er trug seine himmelblaue Festtunika und einen weißen, mit zwei ineinander verschlungenen roten Drachen bestickten Umhang. Wals war breiter und wuchtiger als andere Männer in voller Kampfrüstung und überragte die meisten seiner Gefolgsleute um eine gute Handspanne. Fünfzig Winter hatten sein strohblondes Haar mit Silber durchzogen und den dichten Bart wie mit Rauhreif bedeckt. Auf dem wettergegerbten Gesicht zeigten sich tiefe Falten, aber sein Schritt war schnell und federnd, als er nun erschien, um den Bräutigam seiner Tochter zu begrüßen. Sigmund richtete sich so hoch auf, wie er nur konnte, drückte die Schultern zurück, füllte den Oberkörper wie einen Blasebalg mit Luft und betete inbrünstig zu Wotan, daß auch er eines Tages so mächtig und edel sein würde wie sein Vater.
Wals führte die Schar seiner Gefolgsleute hinunter zum Ufer, als die Männer auf Siggeirs Schiffen mit den weißen Segeln die Anker warfen und die Laufplanken herabließen. Zu Sigmunds Enttäuschung hatten die Schiffe keinen Drachenbug, wie es in allen Kriegsgeschichten über die Goten und Dänen hieß, aber sie waren genauso groß wie die Schiffe seines Vaters, und die schön geschwungenen Seiten waren bis zum hoch gewölbten Bug mit kunstvollen Schnitzereien verziert.
»Ho, Wals!« rief der große Mann, der die Laufplanke als erster betrat. »Ich bin gekommen, um meine Braut zu holen.« Siggeir hatte eine angenehme, tragende Stimme; nur sein deutliches Näseln wirkte befremdlich. Sein rotblondes Haar war zu einem dichten Zopf geflochten; das Gesicht erinnerte mit den schmalen Augenbrauen und der langen, gekrümmten Nase über einem dünnen spitzen Bart an einen Storch. Sigmund fiel auf, daß Siggeir zwar groß war, aber doch kleiner als sein Vater. Er hatte drahtige, muskulöse Arme und schmale Schultern. Goldene und edelsteinbesetzte Broschen schmückten seine Tunika; auch an seinem Schwertgriff funkelten kostbare Verzierungen.
»Hol deine Männer an Land, dann wollen wir sehen, ob du sie bekommen kannst«, rief Wals laut und rauh zurück. Siggeir sprang mit einem gewandten Satz ans Ufer und stand sofort in Kampfhaltung wie ein Mann, der es gewohnt ist, vom Schiff aus zu kämpfen. Er richtete sich auf, trat vor, um Wals' Unterarm zu umfassen, und blickte dem größeren Mann direkt ins Gesicht. »Hab keine Sorge, Siglind wird nicht mehr verlangen, als ich ihr bieten kann«, erklärte der Nachkomme der Inglinge selbstbewußt. Seine Krieger sprangen nach ihm ans Ufer. Die kräftigen Männer in Fellumhängen umringten Siggeir wie vor einer Schlacht. Sigmund nickte anerkennend. Der Bräutigam seiner Schwester wußte, wie ein Drichten sich seinen Verbündeten zeigen sollte. Wenn dieser Auftritt im Einklang mit ihrer Kampfkraft stand, dann würde er der Tochter von Wals keine Schande machen. »Wo ist sie? Ich möchte meine Braut sehen.«
»Meine Tochter Siglind wartet in der Halle ihres Vaters, wie es sich für eine Jungfrau gehört«, erwiderte Wals. »Sei willkommen, Siggeir als Gast und als Verwandter.«
Wals und Siggeir schritten gemeinsam die Wiese zur Halle hinauf. Hinter ihnen folgten die Krieger. Sigmund musterte verstohlen die Goten um ihn herum. In der warmen Sonne des frühen Sommers lief ihnen der Schweiß über die Stirn. Einer nach dem anderen legte den Fellumhang ab. Darunter trugen sie dicke Wolltuniken. Die meisten waren etwas größer als die Sachsen, einige wirkten so drahtig wie Siggeir und hatten rotblonde Haare, andere waren dunkler und untersetzter. Sie sprachen schnell in einer harten, abgehackten Sprache. Sigmund glaubte, wenn er ihnen lange genug zuhören und sie etwas langsamer sprechen würden, hätte er ihre Worte verstehen können. Er ärgerte sich, daß es nicht so war.
In der Halle war es angenehm kühl und dunkel. Das Tor blieb offen, und durch die jungen Blätter und die weißen Blüten des Apfelbaums fielen Sonnenstrahlen ins Innere. Auf dem gestampften Boden lagen frisches Stroh und Kräuter; der würzige Geruch von Rosmarin und Thymian verbreitete sich unter den Stiefeln der Männer. Siglind und Alflad, Wals' zweite Frau, kamen ihnen entgegen. Siglind brachte ihrem Vater ein goldbeschlagenes Trinkhorn mit Met, Alflad reichte Siggeir das Gegenstück
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