Rheingold
breitkrempigen Hut tief über ein Auge gezogen hatte. Unter der hellen Tunika trug er eine dunkle Leinenhose, die an den Knien gebunden war. In seiner Hand glänzte ein großes, blankes Schwert. Die scharfe Schneide glänzte so silbern wie sein struppiger Bart und die Haare. Ein heller Edelstein, so glatt und rein wie Wasser, funkelte im Griff. Die zwei Drichten und ihre Gefolgsleute blickten den Fremden mit großen Augen an. Der Mann trat schweigend zu dem mächtigen Apfelbaum und stieß das Schwert bis zum Heft in den Stamm. Ein Schauer durchlief den Baum von der Tiefe seiner Wurzeln bis zum Wipfel und ließ die Erde und das schilfgedeckte Dach von Wals' Halle erzittern.
Der Fremde drehte sich um. Sternenlicht fiel aus dem einen Auge auf die Menschen, die ihn stumm anstarrten. Sigmund sah, wie Goten und Sachsen unwillkürlich nach den Schwertern griffen, die mit den Friedensbändern an den Scheiden festgebunden waren, andere umfaßten ihre Amulette, und bärtige Lippen flüsterten in dem ehrfürchtigen Schweigen lautlos die Namen von Göttern. »Ich mache dieses Schwert dem Mann zum Geschenk, der es aus dem Stamm ziehen kann«, sagte der Fremde. In der klangvollen tiefen Stimme lag eine seltsame Rauheit, ein Kratzen, so spröde wie die Hanf schnür um seinen Hals. »Gewiß wird er nie ein besseres Schwert in der Hand halten, und keiner wird diese Waffe in kommenden Zeiten mehr brauchen als er.«
Der große Mann drehte sich um und verließ die Halle. Bevor noch jemand aufstehen und ihm folgen konnte, war sein Schatten bereits mit dem schwachen Dunst verschmolzen, der vom Fluß heraufzog. Die Krieger erhoben ein großes Geschrei. Alle stürmten zum Baum, alle guten Manieren waren vergessen. Sie drängten sich gefährlich nahe um das Feuer und den kochenden Kessel, blickten staunend auf den funkelnden, sechseckigen Kristall im Schwertgriff und redeten sächsisch und gotisch aufeinander ein.
»Wartet!« rief Wals und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Energisch schob er ein paar Männer vom Baumstamm weg. »Ruhe!« Langsam wurde es still. Die Männer blickten zu Wals auf. Das glühende Feuer warf seinen
zuckenden Schein auf ihn, und der Dampf aus dem Kessel mit dem siedenden Fleisch ließ ihn unwirklich groß erscheinen. Er überragte die kleineren Männer, die sich um ihn drängten, wie ein majestätischer Bär. Wals hob die starken Arme, als halte er einen mächtigen unsichtbaren Schild. »Dies ist meine Halle, und bei den Göttern, ich werde hier Ordnung halten, und wenn ich einen nach dem anderen umbringen muß, um das zu erreichen! Jeder von uns wird der Reihe nach sein Glück versuchen oder keiner! Zweifelt ihr etwa daran, daß unser Gast genau wußte, wem er das Schwert gibt? Oder glaubt ihr wirklich, der Falsche wird es bekommen?«
Die zottigen Köpfe nickten zustimmend. Die Krieger sahen sich unsicher an. Siggeir stand direkt vor Wals und musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. Aber noch ehe er etwas sagen konnte, drehte sich der Drichten der Sachsen um und umfaßte mit seinen großen Händen den Griff des Schwerts. Er stemmte die Füße gegen eine der dicken Baumwurzeln und zog mit der ganzen Kraft seiner mächtigen Gestalt. Unter heftigem Rucken bog er sich vor und zurück. Ein paar Blätter und Blüten schwebten zitternd zu Boden, aber das Schwert rührte sich nicht. Es steckte noch immer so tief im Stamm, wie der Fremde es hineingestoßen hatte. Siggeir trat neben Wals. Sein schmales Gesicht glühte vor Zorn. »Zurück, Wals!« rief er knapp, »laß mich es versuchen...«
Die Blicke der beiden Männer trafen sich kurz, und Sigmund hielt den Atem an. Es hätte ihn nicht erstaunt, wenn sein Vater dem anderen einen Schlag versetzt hätte.
Wals hob jedoch nur die breiten Schultern und sagte ruhig: »Gut, wir werden ja sehen.« Sigmund entging nicht, wie Siggeir unter dem dünnen Bart die Zähne zusammenbiß. Dann packte der Anführer der Goten den Schwertgriff und begann, mit wütendem Schnauben daran zu ziehen. Die Muskeln seiner sehnigen Arme schwollen an, und auf der Haut standen helle Schweißperlen. Das schmale Gesicht rötete sich vor Anstrengung. Seine Stirn wurde naß, und die blassen Augen quollen hervor, während er mit all seiner Kraft versuchte, das Schwert aus dem Stamm zu ziehen. Schließlich ließ er es keuchend los und rief in die Menge: »Bimir, du bist der nächste. Wir werden sehen, ob deine Bärenstärke etwas gegen den Zauber dieser Klinge ausrichten kann.«
Kaitlins
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