Rheingold
aufgeben, solange noch Wälsungen am Leben sind.« Er verlagerte das Gewicht und unterdrückte ein Stöhnen, denn das stinkende Holz bohrte sich schmerzhaft in sein wundes Gesäß.
Bertwini sah ihn halb anklagend, halb fragend an. Dann ließ er den Kopf auf die Brust sinken und schloß die Augen. Sigmund blickte traurig auf seinen letzten Bruder und wünschte, er hätte wie Wynflad die Gabe, Bertwini in seinen letzten Stunden mit Worten Kraft zu verleihen. »Ich liebe dich, mein Bruder«, sagte er schließlich leise. »Wenn man uns nicht befreit, solange wir noch leben, dann werden wir in Walhall zusammen an der Tafel mit Wotans Helden sitzen, noch ehe zwei Nächte vergangen sind. Ich glaube, die Menschen werden das Schicksal der Söhne Wals' nicht so schnell vergessen.«
»Aber wer wird sich an uns erinnern?« fragte Bertwini mit einem Funken Hoffnung in der Stimme.
»Siglind wird sich erinnern und ihren Söhnen erzählen, daß noch niemals Männer ein grausameres Schicksal mit größerem Mut ertragen haben als ihre Brüder. Und ihre Söhne werden heranwachsen, um uns zu rächen.«
»Du meinst, Rache nehmen an ihrem eigenen Vater?«
»Wenn sie Siglinds Seele haben, werden sie sich von dem Verräter abwenden und Wals' Sippe rächen. Wer sollte uns näher stehen als die Söhne unserer Schwester?«
Ein schwaches Lächeln trat auf Bertwinis bleiche Lippen. »Wenn Hoffnung besteht, daß wir gerächt werden, dann hat Wotan uns nicht verlassen.« Er zitterte und krümmte sich unter einem Hustenanfall. »Ich glaube, der Wolf wird mir willkommener sein als ein langsamer Fiebertod. Jetzt will ich schlafen, um der Bestie mit meiner ganzen Kraft begegnen zu können.«
Sigmund nickte erschöpft und überließ sich ebenfalls einem unruhigen Schlaf.
In dieser Nacht blickten Sigmund und Bertwini lange in die Dunkelheit, ehe der Wolf erschien. Als er kam, wirkte er zuerst wie ein grauer Wolkenwirbel. Sigmund hatte den Eindruck, er nehme erst in dem nebelhaften Dunst seine bestialische Gestalt an. »Es leben noch immer Wälsungen!« rief Bertwini, und der Wolf sprang über Sigmund hinweg auf seinen Bruder. Das Wesen hatte keinen Tiergeruch an sich, sondern roch nur leicht vermodert nach getrockneten Kräutern und Rauch. Heiße Blutstropfen spritzten auf Sigmunds Gesicht. Er sah nicht, was der Wolf seinem Bruder antat, aber er wandte den Blick nicht von dem Tier. Es war eine Wölfin mit acht faltigen Zitzen am feisten Bauch.
Als die Wölfin genug gefressen hatte, drehte sie den blutigen Kopf zur Seite, sah Sigmund an, und es schien, als ob sie leise lachte. Durch die grausame, schmale Schnauze glaubte er,
das bösartige Gesicht einer alten Frau zu sehen, die ihn verhöhnte. Dann drehte das Untier sich um und lief davon. Es verschmolz vor Sigmunds fassungslosen Augen mit dem kalten Dunst und verschwand in der Nacht. Zwei fieberheiße Tränen liefen Sigmund über die Wangen, dann verlor er das Bewußtsein.
Der Mann kam am nächsten Morgen und gab ihm zu essen und zu trinken. Sigmund hatte einen geschwollenen Hals und konnte kaum sprechen, aber zwischen einem Bissen und dem nächsten stieß er würgend hervor: »Es war kein Wolf.«
Der Mann beugte sich vor und sah Sigmund zum ersten Mal mit wachen Augen an. »Was sagst du da?« fragte er. Er ist nicht taub, dachte Sigmund erleichtert.
»Es war... ich weiß nicht... ein Wesen, das... seine Gestalt ändern kann... eine Frau. Kein Wolf würde ...«
Der Mann blickte auf den Baumstamm neben Sigmund, wo Bertwinis zerfetzter Körper lag, und musterte dann die aufgerissenen Leiber der anderen Brüder. Nachdenklich kniff er die dichten braunen Brauen zusammen und fragte: »Alt oder jung?«
»Alt. Es... es hat mich ausgelacht.«
»Ich werde Siglind davon berichten. Bis jetzt weiß sie nichts«, fügte er hinzu. »Ich wollte ihr die Qual ersparen, von eurem Geschick zu erfahren.« Er lief schnell davon, noch ehe Sigmund etwas sagen konnte.
Es war bereits dunkel, als der Mann zurückkam. Mitternacht konnte nicht mehr fern sein. Am Himmel stand bereits die gelbe Mondsichel. Der Mann hielt einen Speer in der Hand und hatte ein Schwert an der Seite. Er war kein Knecht, wie Sigmund geglaubt hatte, sondern ein Krieger von Rang. Sein Umhang wurde von einer glatten römischen Silberschnalle zusammengehalten. Als er zu Sigmund trat, holte er unter dem Umhang einen kleinen Topf hervor. »Bleib still sitzen«, befahl er. »Ich werde dein Gesicht mit Honig bestreichen und auch den Mund damit
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