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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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ihre Aufgabe sein, aus dem Funken Feuer zu schlagen, damit ihre Söhne stark genug für die Rache wurden - die Rache an ihrem eigenen Vater. Dafür brauchten sie unerschütterliche Seelen, feste Herzen und vor allem den Mut, sich jedem Fluch zu stellen. Wie schwer die Zukunft auch sein mochte, der Frost würde die jungen Wälsungen nicht töten, sondern reifen lassen. Aber dann durchzuckte sie die bange Frage: Und wenn nicht genug von dem harten Metall unserer Sippe in ihnen steckt, was dann? Siglind schloß kurz die Augen. Dann blickte sie ihre Söhne ruhig an und sagte leise: »Eure Großmutter ist tot. Aber ihr dürft sie nicht mehr sehen, denn sie hat sich in einen Wolf verwandelt und meine Brüder getötet.« Als sie sah, wie die Gesichter der Kinder bleich wurden, wie Tränen in ihre Augen stiegen und sie anfingen laut zu weinen, dachte Siglind: Wenn sie keine Wälsungen sind, dann stärken sie Siggeirs Sippe und werden unsere Feinde sein. Sie biß sich auf die Lippen und schwor sich innerlich zitternd: Das darf niemals geschehen, niemals! »Ihr müßt nicht weinen«, tröstete sie Teudorik und Harigast und streichelte ihnen sanft und beruhigend die blonden Köpfe, bis sie nur noch leise schluchzten, »in den Neun Welten leben viele gefährliche und schreckliche Wesen. Ihr müßt groß und stark werden, um gegen sie zu kämpfen und alle Ungeheuer zu besiegen.« Ihre Söhne blickten sie mit großen, tränennassen Augen unsicher an, und Siglind fügte lächelnd hinzu: »Und das werdet ihr bestimmt schaffen!«

    *

    Als Siglind mit ihren beiden Söhnen durch die lange Reihe der Vorratshäuser unterhalb der Halle ging, nacheinander die Türen öffnete und Reiche suchte, hörte man bereits den dumpfen Hörnerklang der Totenklage, der bald von den umliegenden Hügeln beantwortet wurde. Die Nachricht von Karas Tod ging über das Land. Helche stand in dem großen dunklen Raum mit den alten Eichentruhen und legte Leinentücher zusammen. Mit ihren dicken Armen beugte sie sich über die frisch gewaschenen Laken. Salzige Tränen liefen ihr über das gutmütige, pausbackige Gesicht. Siglind wußte sofort, daß sie von den schrecklichen Ereignissen der Nacht mehr wußte, als die dumpfen Hörner dem Volk verrieten. »Du kannst mit den Kindern heute in den Wald gehen«, sagte Siglind. Die Magd zuckte bei ihren Worten zusammen und starrte sie mit großen, rotgeweinten Augen wie eine erschrockene Kuh an. »Spiel mit ihnen, aber sie sollen nicht laut sein und wild herumtollen.«
    Helche nickte und erwiderte: »Ja, Frowe.« Dann fing sie an, heftig zu schluchzen. »Weine nicht, Helche. Du darfst die Kinder nicht noch mehr beunruhigen.«
    Helche schluckte noch ein paarmal, wischte sich mit der Schürze die Augen und ging wie befohlen mit Teudorik und Harigast hinaus. Als Siglind allein war, setzte sie sich auf eine Truhe und richtete ihre Gedanken auf Sigmund. Bald sah sie sich über dem weißen Grabhügel schweben und entdeckte die zur Seite gerollten Steine. Sie versenkte sich noch tiefer in sich selbst und stand bald in der dunklen Grabkammer, wo ihr Bruder erschöpft schlief. Er hatte sich die nassen, stinkenden Kleider von seinem geschundenen Leib gerissen und lag zusammengekauert am Boden. Er war so kalt wie der Stein. Sie legte ihm die Hand auf die Stirn und ließ ihre Wärme in ihn strömen. Sofort hörte er auf zu zittern, und sein Atem ging leicht und gleichmäßig. Ich muß ihm so schnell wie möglich alles bringen, was er zum Überleben braucht! Mit diesem Gedanken erwachte Siglind erschrocken und zitternd vor Kälte aus ihrer Trance.
    »Wir haben sie vor der hinteren Tür der Halle gefunden, wo der Drichten und Frowe Siglind schlafen. Dort liegt sie immer noch, denn sie ist so schwer wie Stein. Man kann sie nicht wegtragen...«, hörte Siglind Awimundur sagen: »Gut so. Ihr hättet sie überhaupt nicht berühren dürfen. Nun ja, ich werde gleich sehen, was für ein Schaden entstanden ist«, antwortete ihm eine Frau mit einer hellen Altstimme, die etwas rauchig klang. »Hat jemand versucht, in ihr Haus zu gehen?«
    »Ich denke nicht...«
    Siglind lief ins Freie. Awimundur führte ein dunkelbraunes Pferd am Zügel. Neben ihm ging eine Frau in einem weiten hellgrünen Gewand. Die kräftigen Unterschenkel und die gebräunten nackten Füßen bewegten sich schnell unter den schwingenden Falten des dunkelgrünen Rocks. Ein schwarzer Beutel hing wie eine tote Gans an ihrer rechten Hand. Das weiche Leder lag wie der lange Hals

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