Rheingold
tun.«
Siglind führte die Seherin zu Karas windschiefer Hütte. Die Hütte stand etwas abseits von den anderen Gebäuden und in einiger Entfernung vom Dorf. Die Zwischenräume der etwa hüfthohen Holzwände waren mit getrocknetem Strohlehm verschmiert, und der Firstbalken war gerade so hoch, daß Siglind aufrecht darunter stehen konnte. Die vier Giebelbalken endeten in grob geschnitzten Pferdeköpfen mit riesigen starren Augen.
Freydis schritt dreimal um das Haus. Dabei drehte sie einmal den Kopf über die Schulter, als rede sie stumm mit einem Unsichtbaren. Als sie die Tür an der Nordseite zum dritten Mal erreichte, beugte sie sich vor, verdrehte den Körper wie eine Katze und ging die Stufen aus gestampfter Erde rückwärts hinauf, wobei sie den Kopf vorbeugte und zwischen den Beinen nach oben blickte, während sie einen leisen unheimlichen Klagelaut ausstieß. Dann sprang sie verblüffend schnell und gelenkig wie ein gebogener grüner Birkenzweig, den man plötzlich an einem Ende losläßt, kerzengerade in die Luft und schlug mit dem Unterarm so kraftvoll gegen die Tür, daß der Riegel brach und die Tür aufflog. Ein kalter fauliger Hauch drang aus der Hütte, umhüllte Siglind wie eine eisige Wolke und verschwand in der Luft. Freydis schlich vorsichtig wie eine große Katze mit wachsamen Augen in den Raum. Sie senkte den Kopf, als schnuppere sie etwas und ließ ihn dann von einer Seite zur anderen schwingen. Siglind sah, wie sie im Halbdunkel blitzschnell auf ein felliges Bündel, das an der Decke hing, so fest einschlug, daß es auf den Lehmboden fiel und dabei klapperte, als enthalte es Knochen. Dann wirbelte Freydis wild stampfend und schlagend wie in entfesselter Wut in der Hütte herum. Die Wände erbebten unter ihren Schlägen und Tritten. Ein ohrenbetäubendes Bersten und Klirren erscholl, als würden erstarrte Eisenketten zerspringen. Siglind glaubte zu sehen, daß unter jedem Schlag ein roter Lichtstrahl aufglühte und so das kunstvolle Muster eines geflochtenen Korbs in Karas Haus entstand. Die Seherin beendete den wilden Tanz, indem sie mit einem Fuß gegen die verkohlten Holzscheite in der Feuerstelle trat; eine Wolke aus Holzkohle und staubfeiner Asche stieg auf. Mit dem anderen Fuß trat Freydis mitten in eine breite, ovale Trommel, deren Fell über und über mit dunkelbraunen Gestalten bemalt war. Die Trommel barst dröhnend. Dann war plötzlich alles still, als habe sich eine große Hand auf die bebende Hütte gelegt, um sie zum Schweigen zu bringen.
Freydis schüttelte die zerfetzte Trommel von den Füßen und humpelte keuchend ins Freie. Sie nahm Awimundur die brennende Fackel aus der Hand und setzte unter leisem Murmeln nacheinander die Pferdeköpfe in Brand. Die Balken brannten sofort. Vier prasselnde Feuersäulen erhoben sich in die Luft, und bald stand eine schwarze, stinkende Wolke über Karas Dach, unter der die orangenen Flammen gierig das Gras erfaßten und sich wie glühende Adern die Holzwände hinunterfraßen. Freydis warf die Fackel durch die offene Tür und zielte dabei auf die zerstörte Trommel. Sie flammte geräuschlos auf, und dann stand in der Hütte alles in Flammen.
Freydis lächelte. »Gut... ich habe schon Schlimmeres erlebt. Gibt es für mich etwas zu essen?«
Diese Frage überraschte Siglind. »J..ja«, stammelte sie, »ja, natürlich. Was möchtest du?«
»Ich brauche etwas Kräftiges - Brot, Käse Butter und Honig, wenn du hast. Fleisch wäre auch gut und Bier oder Met, wenn es etwas gibt, bei dem die alte Hexe mit ihren Pfoten nicht mitgemischt hat, sonst trinke ich lieber Milch.«
Siglind eilte davon, um der Seherin das Essen zu holen. Als sie mit dem Gewünschten und einem Krug sahniger Milch zurückkam, erklärte Freydis dem aufmerksam zuhörenden Awimundur bereits die nächste Aufgabe.
»Ich brauche einen großen, dicken angespitzten Holzpflock entweder von einer Eiche oder einer Erle. Außerdem vier kräftige gegabelte Erlen- oder Weidenäste, die groß genug sein müssen, um ihre Arme und Beine festzuhalten, sechs kleinere gegabelte Äste und drei dicke Bündel Weidenruten. Jemand soll damit beginnen, im Torfmoor ein Loch auszuheben. Es muß groß genug sein, daß sie ausgestreckt darin liegen kann. Und es muß tiefer sein, als ein Mann groß ist.«
Awimundur nickte und ging schnell davon. Freydis setzte sich mit gekreuzten Beinen auf die Erde und ließ sich von Siglind das Essen reichen. Sie hob den Milchkrug an die Lippen und trank durstig. Danach
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