Rheingold
über ihrem rundlichen Arm. Zwischen den schnell dahinziehenden Wolken erschien gerade die Sonne. Ihre hellen Strahlen ließen feuriges Rot im dichten, goldbraunen welligen Haar der Fremden aufleuchten und tanzten auf der schweren Bernsteinkette, die sie um den Hals trug. Sie schritt zwar energisch und zielbewußt aus, aber ihre runden Hüften bewegten sich frei mit dem Schwung lebensfroher Fraulichkeit. Im Vergleich dazu kam sich Siglind kalt und steif vor. Die Frau war nur wenig kleiner als Siglind, wirkte aber mit ihren fraulichen Rundungen unter dem grünen Gewand sehr viel drahtiger. Die Seherin blieb stehen, wandte langsam den Kopf und blickte Siglind an. Um die Pupillen ihrer blauen Augen brannte ein strahlender, gelbweißer Ring. Im Bann dieses Blicks wagte Siglind kaum zu atmen, aber sie spürte nicht den dumpfen bedrückenden Sog wie bei Kara. Freydis schien durch sie hindurchzusehen und ihre Seele auf einer Waage zu wiegen, die so genau war, daß weniger als ein wimpemgroßer goldener Faden bereits einen Ausschlag hervorrief. »Siglind«, sagte die Frau sehr bestimmt, »du hast den Leichnam gefunden. Was hast du damit getan?« Die bohrende Kraft des Blicks verschwand plötzlich, und Siglind konnte ihr ins Gesicht blicken. Sie schätzte die Seherin auf ungefähr dreißig, obwohl ihre leicht gebräunte Haut noch keine Spuren des Alters zeigte. Freydis hatte kräftige Wangenknochen und ein ausgeprägtes Kinn, das spitz zulief und zart wirkte, was ihr etwas Mädchenhaftes verlieh. Die lange Nase war für das rundliche Gesicht etwas zu groß, aber das tat ihrer Weichheit keinen Abbruch.
»Awimundur und ich haben versucht, sie aufzuheben...«
»Ich möchte später mit dir unter vier Augen sprechen.«
Freydis warf einen Blick auf die Sonne. »Wir müssen das vor Sonnenuntergang erledigt haben. Glücklicherweise ist es nicht im Winter geschehen.«
Um die Halle stand ein Ring bewaffneter Krieger. Sie verstummten, als Siglind, Awimundur und die Seherin sich näherten.
»Laßt uns durch«, forderte Siglind ihren Anführer auf. Guntor und Agantiwar traten stumm beiseite und ließen sie passieren. Freydis trat mit großen Schritten neben die Tote und zog mit einer schnellen Bewegung die Decke weg. »Welcher Dummkopf schützt sie vor dem Sonnenlicht?« rief sie und beugte sich über die entstellte menschliche Gestalt. Siggeir stand erschrocken auf und sah die Seherin verwirrt an, die ihn keines Blickes würdigte. Sie hielt ihm die Decke hin und sagte: »Dadurch bekommt sie nur Kraft. Die Decke muß sofort verbrannt werden.« Siggeir nahm ihr die Decke ab und ging damit durch die Tür in die Kammer. Die Seherin blickte unverwandt in Karas dunkle glasige Augen und sprach lautlos einige Worte. Dann holte sie etwas aus ihrem Beutel, was wie braune Kiesel aussah. Bei genauerem Hinsehen stellte Siglind fest, daß es zerkleinerte und getrocknete Wurzeln waren. Freydis streute sie in Form eines Ovals um Karas Körper; den Rest schob sie mit der Spitze ihres Dolchs unter den toten Leib. Ihr Singsang wurde lauter. Siglind verstand die Worte nicht, sie klangen zwar melodisch, aber ergaben keinen Sinn für sie.
Schließlich erhob sich die Seherin und bewegte die Hände, als wolle sie Wassertropfen abschütteln. »Es wird eine Weile dauern, bis das wirkt. Führt mich jetzt zu ihrem Haus.«
»Was hast du getan?« fragte Siglind besorgt. »Ich habe einen Teil ihrer Verbindung zu Hella
durchtrennt, damit wir sie aufheben und dahin bringen können, wo sie hingebracht werden muß. Gehen wir, Siglind. Es ist keine Zeit zu verlieren. Awimundur, ich brauche eine brennende Fackel.«
Siggeir trat wieder ins Freie. Er schwankte und sank erschöpft gegen die Tür. Freydis nahm aus ihrem Beutel etwas, das in braune Rinde gewickelt war, und reichte es ihm. »Laß dir von einer der Mägde einen Tee damit aufgießen. Dann kannst du schlafen, und deine Wunde wird besser heilen. Du solltest den Tee sofort trinken..., aber das willst du nicht, oder? Gut, bleib hier, bis wir zurück sind. Laß niemanden in die Nähe und vergiß nicht, sie darf nicht zugedeckt werden. Später mußt du auch mit deinen Leuten reden, damit die Geschichte nicht zu sehr aufgebauscht wird.« Siggeir nahm das braune Päckchen und fragte die Seherin mit einem Blick auf die Tote: »Kannst du mir sagen, wessen Werk das ist?«
Sie antwortete ohne Zögern: »Nein. Dazu müßte ich ihren Geist rufen. Das wäre sehr töricht und gefährlich. Deshalb werde ich es nicht
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