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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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konnte kein Auge zutun und starrte in die Dunkelheit. Was habe ich meinen Brüdern angetan, fragte sie sich immer wieder. Awimundur hatte ihr erst an diesem Morgen von den schaurigen Ereignissen auf der Lichtung im Wald berichtet. Jetzt... vielleicht jetzt, dachte sie beklommen, wartet Sigmund auf die Wölfin, oder er kämpft mit ihr, oder er ist bereits tot und von der Bestie verschlungen worden...
    Irgendwann schlief sie doch ein, schreckte aber gleich wieder auf und hatte den heißen und süßen Geschmack von Blut und Honig im Mund. Sie zitterte vor Wut und glaubte, in der Ferne ein schauriges Geheul zu hören. Bald darauf stöhnte jemand draußen vor der Kammer. Siglind wagte sich nicht hinaus. Wer immer es auch sein mochte, mit Sicherheit war es nicht Sigmund, denn er wäre niemals zu Siggeirs Halle gekommen, auch wenn er noch so schwer verwundet sein sollte.
    Plötzlich hörte Siglind ein schreckliches Kratzen an der Tür, ein gespenstisches Scharren, bei dem ihr alle Haare zu Berge standen. Sie preßte die Hände auf die Ohren. Trotz des unheimlichen Scharrens schlief Siggeir tief und fest. Schließlich schob Siglind die Decke zurück, stand leise auf, zog den Dolch aus dem Gürtel, der über ihrer Kleidertruhe hing, und schlich zur Tür. Sie wollte vorbereitet sein auf das, was versuchte, in den Raum zu dringen. Aber das Kratzen und Scharren brach plötzlich ab. Erleichtert legte sie den Dolch zurück und kroch wieder unter die Decke.
    Beim ersten Licht des neuen Tages verließ Siglind das Lager und band langsam die Lederriemen ihrer Schuhe fest. Dann reckte sie müde die bleiernen Glieder und öffnete die hintere Tür. Als sie ins Freie trat, stolperte sie über etwas Kaltes und Hartes. Als sie sich verblüfft aufsetzte und die schmerzende Schulter rieb, war sie im Begriff, vor Entsetzen laut aufzuschreien; aber sie holte nur tief Luft und schwieg im Gefühl stummen Triumphs. Auf der Schwelle lag Karas entstellter Leichnam. Schwarzes getrocknetes Blut klebte in ihrem offenen Mund, der ohne Zunge war. Das graue Haar hing als lange Wolfsmähne an ihrem Schädel. Die rechte Hand war eine starre, erhobene Pfote; tiefe, helle Risse im dunklen Holz der Tür verrieten, daß sie mit letzter Kraft versucht hatte, in die Kammer zu kommen. Zottiges grauweißes Fell fiel ihr über die Hüfte, und nur an den Schultern und den faltigen Zitzen sah man Haut. Der Leib in dem losen Fell schien seltsam geschrumpft, als sei er erst dick und rund gewesen und dann plötzlich ausgezehrt und abgemagert.
    Siglind hörte Schritte hinter sich im Gras und erhob sich schnell. Als sie sich umdrehte, stand Awimundur erschöpft und aschgrau vor ihr.
    »Sigmund ist geflohen«, flüsterte er. »Aber nach dem Kampf zwischen ... der Wölfin und ihm kann niemand, auch der Drichten nicht feststellen, daß einer der Wälsungen noch am Leben ist, selbst wenn man versuchen sollte, ihre Knochen zusammenzufügen.«
    »Was soll mit dem hier geschehen?« fragte Siglind und deutete auf Karas entstellten Leichnam.
    Awimundur schüttelte langsam den Kopf, dann sagte er: »Wir bringen sie in ihr Haus und bereiten den Körper zum Verbrennen vor, wie es sich für die Mutter unseres Drichten gehört. Ihre Hexerei ist Schande genug. Aber ich meine, niemand außer uns soll erfahren, daß sie daran gestorben ist.« Er trat vor und versuchte, die Tote hochzuheben, aber sie ließ sich nicht bewegen. Siglind wollte ihm helfen. Zusammen zogen und schoben sie, ohne die Tote von der Stelle rücken zu können.
    »Das ist ein böses Zeichen«, sagte Awimundur schwer atmend. »Wenn sie nicht richtig bestattet werden kann, dann wird sie wieder in ihren Leib zurückkehren. Weißt du, wie man mit solchen Dingen umgeht?« Als Siglind den Kopf schüttelte, sagte er: »Das dachte ich mir. Wecke Siggeir. Er muß bei ihr wachen. Ich glaube, bei Tag ist keine Gefahr, aber ich habe gehört, man darf sie nicht allein lassen. Vielleicht kann er den Geist beruhigen, schließlich ist er ihr Sohn. Ich reite zu
    Hewagast und hole die Seherin Freydis. Wir sind vermutlich gegen Mittag wieder hier.« Siglind nickte und eilte in die Kammer zurück. Siggeir hatte sich im Schlaf umgedreht, und der verwundete Arm hing über den Bettrand. Sie packte ihren Mann bei den Schultern und schüttelte ihn heftig. »Siggeir!« rief sie, »wach auf!«
    Langsam öffnete er die blassen Augen und blinzelte sie verschlafen an. »Was ist los?« fragte er benommen.
    »Du mußt aufstehen, Siggeir. Mit deiner

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