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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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sah aus wie eine riesige Feder. Die beiden blieben stehen und sahen zum Himmel hinauf, wo die Feder langsam verwehte. »Was hast du vor?« fragte er Siglind. »Ich?«
    »Mit deinem Bruder?«
    Siglind senkte den Kopf und blickte auf den Boden. Eine Hummel summte geschäftig über einer Kleeblüte. Neben dem dunkelroten Klee war ein kleines Loch, in dem ein Lehmkloß lag, der, wenn man ihn genauer betrachtete, wie ein von Kinderhand geformter Brotlaib aussah. »Er weiß, wohin er gehen muß«, antwortete sie schließlich. »Ich werde nicht mit ihm gehen, wenn du das meinst.«
    »Nein. Wird er hier in Gotland bleiben oder sein Erbe in Wals' Land antreten?«
    Siglind schwieg und ließ den Blick in die Ferne schweifen. Sie sah den verwehten Rauch und die Bäume dahinter. Die Eichenblätter hingen schlaff an den Zweigen. Ihr dunkles Grün überzog bereits ein Hauch Braun, als habe sich eine dünne Staubschicht auf den Wald gesenkt. Awimundur wartete lange auf eine Antwort, aber er nahm die grauen Augen nicht von ihrem Gesicht. Schließlich sagte er: »Wenn dein Bruder Hilfe braucht, um ein Schiff zu
    finden, mit dem er zurückfahren kann, werde ich ihm helfen. Wenn ihr etwas anderes im Sinn habt... etwas, das Siggeir zum Schaden gereicht, laßt es mich nicht wissen. Ich habe alles getan, was ich für euch tun konnte.«
    »Du hast etwas getan, was für uns von größter Bedeutung ist«, sagte Siglind tief bewegt und dankbar. Sie nahm sein Gesicht in beide Hände und drückte ihm einen Kuß auf die Stirn. »Danke«, flüsterte sie.
    »Ich habe getan, was ich tun konnte«, erwiderte er schlicht, »mehr nicht. Wenn du mir danken möchtest, dann laß alles so, wie es vorher war.«
    Schweigend blieben sie stehen, bis Freydis mit der braunen Stute langsam den Weg herunterkam. Sie trug ein weißes Tuch mit roten Blutflecken um das linke Handgelenk. Ein verschlungenes Band rotbrauner Runen bedeckte das entrindete weiße Holz des dicken angespitzten Eichenpflocks. Awimundur und Siglind folgten Freydis und der braunen Stute mit der Leiche durch das Dorf und auf dem Weg, der sich zwischen den raschelnden Feldern zum Torfmoor wand. Am Wegrand standen vereinzelte Erlen und Birken. Der Wind hatte eine dicke graue Wolkendecke über den Himmel gezogen, hinter der die Sonne verschwand. Ein paar Regentropfen fielen auf das Land. Drei Männer aus dem Dorf standen neben einer tiefen Grube, deren Boden bereits mit schwarzem Moorwasser bedeckt war. Freydis gab Siglind ein Zeichen, und die beiden Frauen nahmen den Leichnam vom Pferd. Sie ließen ihn mit dem Gesicht nach unten in die Grube fallen. Die Seherin stieg hinunter und stand auf dem schwammigen Torf am Kopfende der Leiche knöcheltief im Wasser. Sie nahm einen eckigen Hammer aus ihrem Beutel, richtete den Eichenpflock mit der Spitze in der Höhe des Herzens auf Karas Rücken, holte tief Luft und schlug mit einem lauten Schrei zu. Der Leib zuckte, und das Wasser spritzte auf, als sich das angespitzte Holz in den Rücken der Toten bohrte. Freydis schlug noch zweimal zu, bis der mit Runen geheiligte Pflock zwei Finger breit aus Karas Rücken ragte. Dann nahm sie die vier gegabelten Äste aus dem Bündel und schlug sie über Karas Knien und Ellbogen in den Torf. Als das geschehen war, band sie die elastischen Weiden - jeweils drei Ruten - über Karas Nacken, Körpermitte und Gesäß und befestigte sie mit je einem gegabelten Stock an den Enden im Boden.
    »So liege, Hel-Runenfest, tief in der Erde durch dein Übel!« befahl Freydis mit lauter, tönender Stimme, »Thurse-Schwester! Troll-Frau! Sei dreimal verflucht und dreimal gebunden an das Moor. Liege hier, solange es sei! Du kannst dich nie befreien oder die Runen lösen, die Ginugapap schrieb bei der Welten Geburt. Hier wird deine Haut gehalten, dein Doppelgänger gefangen und mit deiner Leiche gefesselt, solange die Welten bestehen. Also habe ich gesprochen, ich Freydis, die Weise, am Brunnen der Alten, an der Äsen Sitz. Und so soll es sein!« Sie senkte die Hand und schlug neunmal auf den Eichenpflock.
    Mit angehaltenem Atem warteten die anderen oben am Grubenrand, bis Freydis die Arme ausstreckte. Zwei Männer faßten sie an den Händen und zogen sie heraus. Als die Seherin wieder auf der Erde stand, war sie schlammverklebt; unter dem nassen Rock sah man ihre mit Torf verschmierten Beine. »Danke«, keuchte sie, stellte sich breitbeinig hin und atmete so tief ein, als trinke sie Kraft aus der Luft. »Schüttet die Grube zu«, sagte

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