Rheingold
sie dann. Die Männer begannen sofort, den Schlamm in das Loch zu schaufeln; er fiel platschend in das dunkle Wasser, das inzwischen den Leichnam schon beinahe bedeckte.
Freydis ging zu ihrer Stute, saß auf und sagte zu Siglind: »Ich reite nach Hause, ich muß mich waschen. Du weißt, wo du mich finden kannst, wenn du mich brauchst... und wo du meinen Lohn hinschicken kannst.«
Sie trieb die Stute an. Nasser Torf flog unter den Hufen auf, als die Seherin zu dem Pfad trabte, der um das Moor herumführte. »Wie belohnen wir sie?« fragte Siglind.
Awimundur hob die Schultern. »Sie überläßt es meist den Leuten, zu entscheiden, was ihre Hilfe wert ist. Wenn jemand ihr zu wenig gibt, dann kann er das nächste Mal, wenn er Schwierigkeiten hat, selbst damit fertig werden.«
»Wo kann ich sie finden?«
»Sie lebt auf dem Land von Hewagast, also auf der anderen Seite des Moors. Wenn du dem Pfad folgst und dich an dem Stein, den Hewagast für seinen Sohn Holtigast aufgestellt hat, rechts hältst, erreichst du das Tal, das nach Norden führt. Am Fuß eines Hügels steht ihre Hütte. Wenn der Weg nicht zu schlammig ist und du nach dem Frühstück aufbrichst, kannst du noch im Lauf des Vormittags bei ihr sein. Aber wenn du möchtest, kann ich für dich zu ihr gehen.«
»Ja«, sagte Siglind, »das wäre gut.« Sie hatte es nicht eilig, noch einmal den bohrenden Blick der Seherin auf sich gerichtet zu sehen oder eine ihrer Warnungen zu hören.
Als sie und Awimundur den Weg zu Siggeirs Halle zurückgingen, war es bereits dunkel. An dem kleinen Bach, der zu Awimundurs Haus führte, verabschiedete er sich und sagte, er werde nicht am Leichenfest teilnehmen. Siglind nickte; sie konnte ihn nur allzugut verstehen. »Wenn du morgen früh zu mir kommst, werde ich etwas für die Seherin vorbereitet haben.«
»In Ordnung.«
Auch Siglind ging nicht in die Halle, wo die Männer sich bereits zum Gedächtnis an Kara um Siggeir versammelt hatten, sondern geradewegs zu den Vorratshütten. Sie nahm sich getrockneten Fisch, Brote, Mehl, einen alten Dolch und gut gefettete Speerspitzen. Ohne langes Suchen fand sie glücklicherweise zwei Tuniken und eine Hose, die der Größe nach entweder Wals oder sogar Sigmund gehört hatten. Sie stammten bestimmt aus dem geplünderten Schiff und waren für die anderen Männer zu groß gewesen. Sie packte alles in eine alte Wolldecke und verknotete das Bündel. Siglind wollte eigentlich mit dem Bündel geradewegs zum Grabhügel des Eruliers gehen, noch während alle in der Halle aßen und tranken, aber als sie die Hütte verließ, überkam sie eine schreckliche Müdigkeit. Sie mußte gähnen, ihre Augenlider wurden schwer wie Blei, Arme und Beine schienen ihr den Dienst zu versagen, und ihren Kopf schien ein schweres Eisenband zu umschließen. Sie überlegte benommen, ob Freydis sie möglicherweise mit einem Bann belegt hatte, aber die Müdigkeit ließ ihr keine Kraft, ernsthaft darüber nachzudenken. Sie brachte das Bündel zurück, versteckte es hinter ein paar großen Kornsäcken und ging dann langsam um die große Halle herum zu ihrer Kammer. Zu ihrem Erstaunen lag Siggeir, mit Sigmunds Schwert an der Seite, angekleidet auf dem Lager und schnarchte laut. Todmüde sank Siglind neben ihn und zog die Decke über sich. Mit einem letzten Gedanken an Sigmund umfaßte sie den Schwertknauf und den glatten Kristall. Dann begann sie zu träumen ...
Sigmund erwachte in völliger Dunkelheit. Er war nackt und fror. Die verschmutzten Kleider mußten zwar irgendwo in der Nähe liegen, aber ihm fehlte die Kraft, auch nur die Hand danach auszustrecken. Er starrte in die Schwärze. Geisterlichter tauchten vor seinen Augen auf, zuckten und verschwanden wieder. Nur eine phosphoreszierende Kugel, die er aus dem Augenwinkel sah, leuchtete beständig und wurde langsam heller, während die Kälte um ihn herum zunahm, als entziehe das Licht seinem Körper die Wärme. Sigmund drehte langsam den Kopf in Richtung des gespenstischen Lichts. Es erhellte die Grabkammer nicht, aber er konnte die Umrisse eines Toten auf einem Wolfsfell erkennen. Er erinnerte sich an Siglinds warnende Worte auf dem Schiff, nur tagsüber Schutz in dem Grab zu suchen, denn alle Menschen fürchteten den hier begrabenen Erulier, der ein großer Runenmeister gewesen war. Sigmund stockte der Atem, denn in den Augenhöhlen des Totenschädels leuchteten immer heller zwei rotglühende Funken, und er sah plötzlich eine bläuliche Flamme über einer runden
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