Rheingold
stören, was sie am Tag vor der Walpurgisnacht zu tun hatte. Die schwarze Katze musterte Siglind herablassend mit zusammengekniffenen Augen. Dann streckte sie sich und stand auf, gähnte lange, zeigte die spitzen Zähne im hellen Rosa ihres Mauls und miaute. Steifbeinig schritt sie zur Haustür und hob die Pfote, um an dem Holz zu kratzen. Als sich im Innern nichts regte, setzte sie sich, hob das Hinterbein und leckte unbekümmert ihr Hinterteil. Siglind mußte laut lachen, und in diesem Augenblick quietschten die Türangeln. Die Katze sprang davon, als ihre Herrin aus der Tür trat und eine Hand vor die Augen hielt, weil die helle Sonne sie blendete. »Siglind!« rief sie, »komm herein. Du kannst dein Pferd am Zaun festbinden. Er ist nicht so wackelig, wie er aussieht.« Siglind schlang die Zügel des Braunen neben Freydis' Stute um den Zaun, öffnete das Tor und überschritt behutsam die unsichtbare Grenze, die die Seherin um ihren Hof gezogen hatte. Dabei überkam sie ein angenehm wohliges Gefühl. Draußen vor dem Zaun hatte sie das unangenehme Gefühl gehabt, beobachtet zu werden, jetzt aber fühlte sie sich sicher und willkommen.
Im Haus herrschte ein gemütliches Durcheinander von Kleidern und Tongeschirr. Getrocknete Kräuter hingen an dem dicken Firstbalken und verbreiteten einen würzigen Duft. Ein großer runder Tonkessel mit einer Verzierung aus dunklen Linien hing über den glühenden Holzkohlen des Feuers in der Mitte des Raums. Im Süden der Feuerstelle stand ein dreibeiniger Hocker; die Beine waren aus Wurzeln geschnitzt, und auf dem Sitz lag ein Fell. Eine flache runde Trommel mit den Umrissen dunkelbrauner Gestalten auf der hellen Bespannung hing an der rußbedeckten Wand neben einem Gestell für Holzschalen und Löffel. Ein Durcheinander von dicken Decken und Kissen, die aussahen, als habe sich eine riesige Katze ein Nest darin gemacht, lag auf dem Boden vor der südlichen Hauswand. Östlich und westlich des Feuers standen zwei große Stühle. Verschlungene Spiralen zierten die Rücken- und Armlehnen, und auf den Sitzen lagen dicke Polster. Freydis setzte sich auf einen Stuhl und bot Siglind den anderen an.
»Was führt dich heute zu mir?« fragte sie.
»Kommst du nur, um mit nur den Sommer zu begrüßen? Oder suchst du Frejas Hilfe, damit das Eis schmilzt, und du wieder schwanger wirst?«
Zu Siglinds Entsetzen entströmte ihr plötzlich ein Sturzbach von Tränen. Die Seherin stand auf, trat zu ihr, drückte Siglinds Kopf an ihre warme Seite und strich ihr begütigend über das Haar, während Siglind sich die grausamen Lasten des Winters von der Seele weinte. »Bist du jetzt bereit, mir zu sagen, was du möchtest?« fragte Freydis sanft und legte der jüngeren Frau die Arme um die knochigen Schultern. Siglind hob den Kopf und blickte der Seherin in die sanften blauen Augen.
»Ich brauche dich, damit du die Gestalt mit mir tauschst und heute nacht bei meinem Mann liegst«, stieß sie atemlos hervor, »und ich ... ich muß einen Sohn empfangen.«
Freydis' Augen begannen zu glühen wie Eisen in der Esse eines Schmiedes. Die Ringe um die Pupillen wurden zuerst golden und dann zu dem funkelnden Weißgold, an das sich Siglind noch gut erinnerte. Sie stellte sich dem bohrenden Blick mit der Kraft ihres Feuers, das in der Dunkelheit ihrer Seele brannte. »Von wem? Ist es Teil deiner Rache, Siggeir zum Hahnrei zu machen?«
»Von meinem Bruder Sigmund«, erwiderte Siglind. »Ich muß einen echten Wälsung als Sohn bekommen, und ich... ich sehe nicht, daß es auf einem anderen Weg geschehen kann...«
Freydis musterte sie noch eine Weile, dann ging sie geschäftig im Raum hin und her, riß ein paar getrocknete Blätter von den Krauterbündeln an der Decke, warf sie in den Kessel, bückte sich, um die Glut zu entfachen, legte ein paar Zweige auf die züngelnden Flammen und dann etwas dickere Äste, bis schließlich ein kräftiges Feuer unter dem Kessel brannte. Ein plötzlicher Windstoß stieß die Tür auf. Die beiden Katzen stolzierten herein, setzten sich hochaufgerichtet rechts und links neben ihre Herrin und legten ihre Schwänze ordentlich um die Pfoten. Auf eine stumme Geste der Seherin schloß Siglind die Tür. Aus dem Kessel stieg bereits ein süß duftender Dampf auf, der Siglind leicht benommen und schwindlig machte. Schwach sichtbare grüne, goldene und rote Wellen trübten ihr den Blick und färbten die dunklen Wände. Freydis hockte am Feuer, wiegte sich hin und her, atmete den Dampf
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