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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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Sie schärften die Waffen, während Siggeir sie daran erinnerte, was sie in den vergangenen Jahren bei den Raubzügen entlang der gallischen Küste alles gewonnen hatten. Das Wetter war mittlerweile gut genug, um wieder mit den Schiffen in See zu stechen, und Siggeir überzeugte seine Leute davon, daß es in der Nachbarschaft genug Land gebe, das entweder mit römischem Gold oder gotischen Schwertern gewonnen werden könne. Der Mißmut der langen Winterabende verschwand von den Gesichtern der Männer, als ihre Hände die Schwerter umfaßten. Noch vor kurzem hatte man nur Flüstern und Murren gehört, jetzt aber lachten sie wieder und jubelten ihrem Drichten zu.

    *

    Am Morgen der Walpurgisnacht war der eisige Eostre-Wind zu einer kühlen Brise geworden, die wie ein munterer Fluß durch den Sommer rauschte. Siglind ging zur Pferdekoppel und sattelte einen kräftigen Braunen. Sie trug ein weißes Kleid und einen dunkelgrünen Umhang. Um den Hals hing die dicke Goldkette, die Siggeir ihr zur Hochzeit geschenkt hatte. Die Haare waren nicht geflochten. Sie hatte sie gekämmt, bis sie glänzten und schimmerten und ihr schwer und golden über die Schultern fielen. Nach dem harten Winter war sie noch immer sehr mager, aber sie hatte inzwischen wieder etwas von der alten Kraft zurückgewonnen. Sie trieb das Pferd den schlammigen Pfad am Rand des Torfmoors entlang, und die kleinen Muskeln ihrer Wangen zuckten unter der ungewohnten Anstrengung eines Lächelns.
    Die hellgrünen Blätter der Birken und Erlen raschelten leise im Wind. Ein grüner Teppich bedeckte das Moor; Anemonen und Schlüsselblumen leuchteten weiß und gelb am Rand der dunklen Tümpel, in denen sich der Himmel spiegelte. Siglinds Herz klopfte so heftig, daß es beinahe schmerzte. Es kam ihr vor, als sei ihr Körper lange Zeit gefühllos, leblos und erstarrt gewesen, und erst jetzt fange das Blut wieder an, in ihr zu fließen.
    Der Wallach trabte munter am Moor entlang. Hin und wieder wieherte er und schlug mit dem langen Schweif nach den Fliegen. Siglind tätschelte ihm liebevoll den warmen Hals. »He, du bist wohl froh, wieder einmal Auslauf zu haben«, rief sie ihm zu, »auch wenn du ein altes Weib wie mich tragen mußt.« Sie hielt plötzlich inne. So unbekümmert hatte sie seit dem letzten Sommer nicht mehr gesprochen, als sie mit ihren Kinder spielte... Es waren nicht meine Kinder, sagte sie sich, es waren Siggeirs Söhne. Sie umklammerte die Zügel und begann plötzlich zu zittern. Beklommen versuchte sie, daran zu denken, was sie der
    Seherin alles sagen mußte, um ihren Wunsch zu erklären.
    Und wenn sie es ablehnt . . . ?
    »Ich bin eine Wälsung, und ich werde tun, was ich tun muß«, flüsterte Siglind. Aber wenn Sigmund nicht will . . . ?
    Ein Mann ist nicht so beschaffen wie eine Frau. Vielleicht ist sein Herz so hart wie Stein. Aber sein Körper kann ihn betrügen, wie es meinem Körper bei mir nicht gelingt .. .
    Siglind zügelte das Pferd neben dem großen flachen Stein, der auf der anderen Seite des Moors am Wegrand lag. In die Oberfläche war ein Rad mit vier spiralenförmigen Armen gemeißelt, das rot über der langen geschwungenen Linie eines Schiffes kreiste. Dazwischen stand eine Reihe Runen.
    Sie beugte sich vor und konnte die Worte lesen: »Ich Hewagast habe R. . .«, das muß wohl »Runen« heißen, dachte sie, »für Sohn Holtagast geschrieben...«. Neben dem Stein schlängelte sich ein kleiner Bach. Siglind trieb den Braunen am vermoorten Ufer entlang und folgte dem Wasser eine Zeitlang durch ein einsames Tal, bis das Land anstieg und sie zwischen den vereinzelten Bäumen wieder schneller reiten konnte. Vor ihr erhob sich ein Hügel, an dessen Fuß ein kleines Haus stand. Sie entdeckte Freydis' dunkelbraune Stute am Zaun; sie rieb den langen Hals an den rauhen Holzpfosten, um sich von den letzten Büscheln des Winterfells zu befreien. Zwei große Katzen lagen mitten im Kräutergarten, die um das Haus wuchsen, in der Sonne. Die eine war schmal und schwarz, die andere kräftig und schwarzweiß gefleckt. Das Haus wirkte an der Außenseite schmucklos, aber Siglind sah es so, wie es ihr in den Träumen gezeigt wurde und glaubte, ein unsichtbares geflügeltes Wesen auf dem Dach zu bemerken. Um die Fachwerkwände lag schützend das goldrote Geflecht der funkelnden Lichtmacht. Auch aus den gelben Augen der Katzen blickten keine gewöhnlichen Tiere. Siglind saß vor dem kleinen Zaun ab. Verunsichert zögerte sie, die Seherin bei dem zu

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