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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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leicht gebogene Nase länger und breiter wurde, die Brüste sich weich und schwer ausdehnten und sie einen Bauch bekam, als sei sie schwanger. Gesäß und Schenkel füllten den Rock. Die Arme wurden stark und rundlich, ihre Augen funkelten weißgolden, während durch den dicken Rauch hindurch die eigenen blauen Augen sie ansahen. Freydis sang, und Siglind summte mit:
    Ich bin in deine Haut geschlüpft deine Haare sind meine Haare deine Gestalt ist meine Gestalt Freyjas Rauch wendet in dieser Feuernacht die Gedanken aller Haith als Falke fliegt davon verwirrt den Blick der Männer Gullveigs Funkeln strahlender Glanz öffnet die Augen aber sie bleiben blind Ich bin in deine Haut geschlüpft deine Gestalt ist meine Gestalt Ja, so scheint es zu sein.
    Als sie das Lied zum ersten Mal sangen, hörte Siglind noch ihre hohe Stimme über dem Alt der Seherin. Beim zweiten Mal sangen sie das Lied in gleicher Tonhöhe, und es klang etwas rauh und verschwommen, und beim dritten Mal hatte Freydis den hohen Sopran, und Siglind sang mit dem volltönenden tieferen Alt. Bei den letzten Worten: »Deine Gestalt ist meine Gestalt / Ja, so scheint es zu sein!«
    sprangen sie über das Feuer und tauschten die Plätze. Siglind blickte staunend auf ihre rundlichen, sonnengebräunten Hände und umfaßte damit die weißen schlanken Finger von Freydis. Wellige dunkle Haare fielen ihr ins Gesicht. Sie warf den Kopf zurück, schob die dichten Haare hinter die Ohren und betrachtete fassungslos die langen blonden Haare, die Freydis' Gesicht, ihre hohen Wangenknochen und die kühlen weißen Züge umrahmten. Siglind lachte das rauchige Lachen der Seherin, drehte sich ausgelassen im Kreis, ließ die breiten Hüften unter dem weiten roten Rock schwingen und überließ sich wohlig dem Gefühl der schweren vollen Brüste unter dem grünen Kittel, die ungehindert und warm ihren lebensfrohen Bewegungen folgten.
    Freydis streckte die Arme aus und drehte sich langsam im Kreis. Sie schritt dreimal den Ring ab und verwischte mit einem energischen Tritt das Ocker und die Runen und löste die Macht, die sie gebunden hatte. Siglind sank merklich in sich zusammen, als die Kraft sich im Raum verteilte. Die Katzen strichen um die schmalen Knöchel ihrer Herrin, miauten und funkelten Siglind mit gelben Augen an. »Es ist geschehen«, hörte sie die Stimme, die eigentlich ihre war, »geh jetzt, und Freyja sei mit dir. Wir treffen uns hier nach drei Nächten wieder.«
    »Danke«, sagte Siglind glücklich und verließ die Hütte. Das Gras war warm unter ihren Füßen, die eine dicke Hornhaut hatten. Sie streckte und reckte sich wie eine Katze in der Sonne und genoß die Wärme, die durch die dünne Kleidung drang. Die dunkelbraune Stute hob den Kopf und stellte die Ohren bei ihrem Anblick, dann schnaubte sie und trabte um den Kräutergarten herum zur anderen Seite des Hauses. Aber der Braune, der am Zaun festgebunden war, wieherte und scharrte mit dem Vorderfuß, als sie näherkam. »Pferde lassen sich offenbar nicht so leicht täuschen wie Menschen«, sagte sie lachend und klopfte ihm den Hals. »Du erkennst mich also immer noch.« Sie nahm einen Beutel von seinem Rücken, lief zu dem rauschenden Bach und folgte ihm den Hügel hinauf.

    *

    Sigmund saß auf einem der großen Steine vor seiner Höhle und starrte niedergeschlagen auf das flammende Rot und Rosa der Sonne, die zum Meer hinuntersank. Seit Harigasts Tod hatte er Widukund nicht mehr aus dem Reich der Toten gerufen. Er tat nur noch das, was zum Überleben notwendig war. Manchmal erwog er, nach Süden zu wandern, ein Schiff zu finden und sich den Weg zurück in das Land seines Vaters zu erkämpfen. Wozu sollte es gut sein, in dieser Höhle zehn oder zwölf Jahre herumzusitzen und darauf zu warten, daß Siglind Söhne gebar, die das Gift tötete, bis endlich der eine die Prüfung überlebte, den der Erulier ihnen verheißen hatte. Vielleicht hatte ihn der Geist belogen, um ihn zu bestrafen, weil er den Frieden seiner Grabkammer gestört hatte. Sigmund war so tief in Gedanken versunken, daß er die Schritte der Frau erst hörte, als sie schwer atmend unter ihm vor dem Felsen stand. Erschrocken hob er den Kopf und griff nach dem Speer, der neben ihm auf dem Boden lag. Die Frau lachte leise mit tiefer, rauchiger Stimme und schob die dichten dunklen Haare zurück. »Ich verspreche dir, von mir hast du nichts zu fürchten«, sagte sie, trat etwas näher und musterte ihn verstohlen. »Aber ich habe mich verlaufen, und

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