Rheingold
ein und fing mit ihrer vollen rauchigen Stimme an zu singen, so seltsam und schön wie der Duft der Kräuter, die das kleine Haus erfüllten. Siglind glaubte beinahe, sehen zu können, wie der Dampf sich beim Gesang der Seherin zu Geistern formte; der graue Dunst wallte und wogte, blieb aber nie lange genug still, um sie mehr als ahnen zu lassen, was für eine Gestalt sich zeigte, bevor sie sich schon wieder veränderte. Strähnen von Freydis' langem dichtem Haar standen von ihrem Kopf ab, als seien sie angezogen von Bernstein, den man mit Pelz abgerieben hatte, und der Feuerschein schimmerte rotgolden in den dunklen Wellen.
Ihre funkelnden Augen blickten unverwandt in den Dampf. Die Welt um sie herum war versunken. Auch Siglinds Haare knisterten spannungsgeladen; zwar konnte sie die Geister über dem Kessel nicht deutlich sehen, aber die Schauer, die Siglind über den Rücken liefen, verrieten ihre Anwesenheit und ihre Macht. Plötzlich glaubte sie, über dem Kopf der Seherin hohe Stimmen singen zu hören:
»Der Spruch ist ergangen ein Wälsung muß geboren werden.
So hat das Schicksal es bestimmt
tief am Boden des Brunnens
bei den Wurzeln des Seins
so ist der Spruch ergangen.
Nicht darfst du hindern.
Nicht darfst du schaden.
Der Weg zur Umkehr ist längst verwehrt
noch wird er bald wieder sich bieten.
Freyja und Freyr sollen segnen Wotans Werk
Siglind wird tragen die Last des Geschicks.«
Ein Funkenregen flog auf und wirbelte Siglind in tiefe Dunkelheit. Sie atmete heftig und rang nach Luft, als das Schwindelgefühl nachließ und sie langsam wieder etwas sah. Es war ihr, als sei sie lange unter Wasser geschwommen. Die Katzen sprangen davon und umkreisten Freydis in drei weiten Bögen, dann liefen sie zu ihr und rieben die Rücken an ihren Beinen. Trauer lag auf dem Gesicht der Seherin wie der Schatten eines schneebeladenen Baums, als sie die junge Frau ansah, die vor ihr stand. Siglind richtete sich auf. Sie wußte jetzt nicht
mehr, als sie vorher gewußt hatte. Es war nur eine letzte Bestätigung.
»Zieh dich aus und setz dich«, sagte Freydis. »Wenn du dich entleeren mußt, geh hinaus und tu es jetzt, denn wenn ich mein Werk begonnen habe, darfst du den Ring nicht mehr verlassen.« Als Siglind zurückkam, bedeckten Zeichen und Runen den Boden in einem roten Ockerkreis um die Feuerstelle. Nur eine Öffnung war noch geblieben, durch die sie hineintreten konnte. Siglind kannte einige der Runen und Zeichen, andere waren ihr neu. Die verschlungenen Kurven und Winkel waren ein geheimnisvolles Labyrinth. Behutsam trat sie durch die Öffnung in den Ring, ging vorsichtig um Häufchen von Kräutern, Knochen, Steinen und Fellstücken, die Freydis im Innern des Rings angeordnet hatte. Die Seherin musterte Siglind und nickte stumm, als sie den Kreis betrat.
Dann erhob sich die ältere Frau, zog den blaßgrünen Kittel über den Kopf und hakte den roten Rock auf, der geräuschlos um ihre nackten Füße fiel. Die vollen Brüste sanken etwas, doch der ausladend geschwungene Körper war straffer und stärker, als es in den weiten Kleidungsstücken den Anschein gehabt hatte. Errötend löste Siglind den Gürtel, an dem die Schlüssel hingen, knöpfte am Rücken die Knopfleiste ihres weißen Kleides auf und legte es ab. Dabei war sie sich nur allzu deutlich der vorstehenden Rippen und spitzen Beckenknochen bewußt. Alle mütterlichen Rundungen waren nach der langen Hungerszeit des Winters geschwunden. Neben den kräftigen Gliedern der Seherin wirkten ihre langen Anne und Beine mager. Wie gut, daß wir die Gestalt wechseln, dachte sie bitter, was könnte Sigmund jetzt noch an mir finden? Aber auch Freydis seufzte, als sie die andere Frau betrachtete. »Willst du wirklich mit einer dicken alten Schachtel, wie ich es bin, die Gestalt tauschen?« fragte sie Siglind. »Ich glaube, da machst du ein schlechtes Geschäft.«
»O nein!« widersprach Siglind heftig und mußte plötzlich kichern. Die Seherin erwiderte das Lachen.
»Du hast hübsche weiße Zähne und keine so lange Nase. Wie kannst du nur glauben, eine hübsche junge Frau wie du könnte bei dem, was du vorhast, weniger Erfolg haben als ein altes Weib?« Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse, schielte und ließ die Zunge aus dem Mund hängen. Siglind fühlte sich plötzlich leicht und unbeschwert. Freydis seufzte und sagte wieder mit normalem Gesicht: »Also, wenn du wirklich willst...«
»Ich will«, erwiderte Siglind noch immer kichernd.
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