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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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gegessen; jetzt erinnerte er ihn schmerzlich an Wals' Halle und an den großen Apfelbaum. Er dachte daran, mit welchem Stolz er an der Seite seines Vaters gestanden und auf die Krieger geblickt hatte, die sich vor ihnen versammelten. Wieviel Land hatten sie erobert und vor den Piraten im Norden und den Eindringlingen im Süden geschützt ...
    »Warum so traurig?« fragte ihn Freydis. »Schmeckt der Käse nicht gut?« Sie roch vorsichtig an dem Stück in ihrer Hand und aß dann ein wenig.
    »Als ich das letzte Mal so etwas gegessen habe, war ich der erste unter den Gefolgsleuten meines Vaters. Ich saß in einer großen Halle mit neun tapferen Brüdern und einem Trupp der besten Krieger weit und breit«, erwiderte Sigmund langsam. »Ich hatte goldene Armreifen, trug kostbare Gewänder, und die Frau meines Vaters reichte mir das Bier in einem römischen Glaspokal. Wenn diese Frowe noch lebt, ist sie eine Gefangene. Und wenn die Halle nicht niedergebrannt wurde, dann sitzt dort ein Drichten, aber nicht aus meiner Sippe. Mir gehörte das beste Schwert auf Erden, es kam aus der Schmiede der Götter. Jetzt hat mein Feind es gegürtet, und in seiner Hand erringt die Schlangenschneide Ruhm und Sieg, während ich wie ein wildes Tier als Ausgestoßener in einer Höhle hause. Weshalb sollte ich also nicht traurig sein?«
    In Freydis' Augen standen Tränen, als sie leise erwiderte: »Aber du wartest doch bestimmt nur, bis deine Zeit kommt, um dich zu rächen? Du wirkst so stark, daß dieses Unglück dir nicht das Rückgrat brechen kann. Nach allem, was du mir erzählst, kommst du aus der Sippe eines Edelmanns. Hoffst du nicht, alles, was dir gehört, zurückzugewinnen und vielleicht noch mehr dazu? Wenn die Götter dich nicht verlassen haben, dann sollten deine Kraft und dein Mut stark genug sein, um so viele Siege zu erringen, wie ein Mann erringen kann.«
    »Wenn die Götter mich nicht verlassen haben ...«, wiederholte Sigmund leise. Hatte Wotan es nicht gefügt, daß er als einziger gegen die Wölfin kämpfen durfte? Hatte er sich nicht mit Siglinds Hilfe befreien und den Erulier überwinden können? »O ja, ich bin stärker als viele, aber man hat mir auch gesagt, ich werde in der Stunde der Not das Schwert zurückerobern, das Wotan mir geschenkt hat, und meinen Vater rächen.«
    »Was kannst du mehr vom Schicksal erwarten?«
    »Rache... hier und jetzt!« Wie ein wilder Aufschrei entrang es sich seiner Brust, ehe er seinen Zorn mäßigen konnte. Die Frau sah ihn einen Augenblick mit seltsam leuchtenden Augen an. Dann warf sie leise lachend den Kopf zurück und fragte: »Aber du wirst dich doch nicht heute nacht rächen wollen?«
    »Nein.« Sigmund seufzte und mußte ebenfalls lächeln. »Dann laß sie ruhen, bis die Zeit gekommen ist.« Sie blickte ihm in die Augen. »Glaube mir, du mußt dich nicht schämen.« Die Flammen warfen einen weißlichen Glanz um ihre Pupillen, der ihn seltsam anmutete. Eine Fessel schien von ihm abzufallen. Hexenkunst... überlegte er mißtrauisch, als ein warmes Prickeln seinen Körper durchströmte. Aber die Erleichterung, die damit einherging, war so groß, daß er es nicht über sich brachte, die Frau danach zu fragen oder an die Schutz-Rune zu denken, die er von Widukund hatte, um böse Kräfte abzuwehren.
    Freydis' Lippen verzogen sich zu einem weichen Lächeln. Sie legte den Kopf zur Seite und sagte: »Iß deine Suppe, bevor sie kalt wird. Sie wird sauer, wenn du sie noch länger so anstarrst.« Sigmund zwang sich ihr zuliebe zu einem Lächeln. Es fiel ihm leichter, als er erwartet hatte. Er reckte sich langsam, beinahe genußvoll auf seinem Sitz. Dann aßen sie und tranken die Milch. Sigmund entging nicht, daß Freydis ihn immer wieder verstohlen musterte, aber schnell die Augen senkte, wenn er den Blick erwidern wollte. »Eine sehr gute Suppe«, sagte Freydis, »du hast kochen gelernt... ich meine, so ganz allein in deiner Höhle.« Und wieder sah sie ihn verführerisch an.
    »Das kann schon sein«, erwiderte Sigmund brummig, »ich esse diese Suppe schon so lange, daß mir nicht mehr auffällt, ob sie gut ist oder nicht.«
    Die Frau leckte genießerisch die Schale aus, aß das letzte Stückchen Käse, ließ ihm aber den Rest Milch im Krug. Ein warmer sanfter Wind, der nach frischen grünen Blättern duftete, wehte vor dem Eingang der Höhle. Sie saßen im violetten Zwielicht. Sigmund glaubte, aus den Augenwinkeln das Glimmen geheimnisvoller Feuer zu sehen; es jagte über seinen Rücken

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