Rheinmaerchen
Starenei;
Was sein Flügel hätt geschwungen,
Was sein Schnabel hätt gesungen,
Das ist darum nicht vorbei:
Weh! mein Ei! mein Wunderei!
Janus, Janus, Cisio!
Ach und Oh!
Steh den Witwen und Waisen bei.
Was dem Star war zu verzeihen,
Neugier, Glanzsucht, Plauderei,
Wird manch Menschenherz entzweien,
Daß es muß zum Himmel schreien,
Weh um die Verräterei!
Weh! mein Ei! mein Wunderei!
Janus, Janus, Cisio!
Ach und Oh!
Steh den Witwen und Waisen bei.’
Während Frau Aglaster mit aller traurigen Majestät, deren ein kinderlos verwitwetes gekröntes Starenhaupt fähig ist, diese prophetische Weheklage ausseufzte, hörte ich mehrmals ein entferntes Stöhnen wie eines Mannes, der auf mühsamem Wege begriffen ist, und bei diesem Stöhnen ward ihr Ruf immer heftiger. Scholl wollte ich fragen: Wer ist nur der Cisio Janus , der so lange ausbleibt?! – Da sagte sie, als wisse sie meine Frage schon: ‘Sparen Sie die Frage, hier ist er schon.’
In diesem Augenblick kam ein Mann herein, der mich arme Frau Mondenschein, welche damals eine gar schüchterne Braut war, in eine ungemeine Verlegenheit setzte; es wurde mir, als kenne er mich durch und durch in allen meinen vier Vierteln, alle meine Konjunktion, Komplexion, Temperament und Leidenschaft. Es wurde mir ganz kurios zumute; denn es war mir, als schaue mir der Herr Cisio Janus bis in das feinste Strählchen meines Innern hinein. Ihr wißt wohl, wie einem zu Mute wird, wenn man eben sehr superfein und engelrein wie Edelstein und Elfenbein und Heiligenschein in der Nähe werter Freunde sich zieret, und es tritt der Hofmeister herein, der einen abgestraft; der Hausarzt, der einem den Buckel, die schiefe Hüfte, die hohe Schulter vertrieb und Inneres und Äußeres eingerichtet hat; der Zahnarzt, Nägel- und Hühneraugen- und Starstecher, der einen repariert hat; oder die Kleiderhändlerin, die einem den Prachtanzug gebracht hat, oder die Näherin käme und sagte: ‘Das Hemd ist gar nicht mehr zu flicken’, und breite es vor jedermann aus, und dergleichen menschliche Haushaltungsfälle, die einem das Blut in die Wangen treiben.«
»O ja, wir wissen schon, wir wissen schon, es ist zum Sterben!« riefen die Fräulein. »Aber wie geschah das durch den fatalen Herrn Cisio Janus so? Wie sah er denn aus? Wer ist er? Wie wußte er das? Lebt er noch? Könnte er jetzt wiederkommen? Ach, wenn er doch säße, wo der Pfeffer wächst!« So fragten alle die Hoffräulein durcheinander und drängten sich ängstlich an Frau Mondenschein heran, als sei der Herr Cisio Janus , der alles wisse, schon in der Nähe.
Frau Mondenschein lächelte über die Besorgtheit ihrer Dienerinnen, und mit ihrem Lächeln kam eine innige süße Ruhe über sie alle, und sie waren wieder zufrieden; das artige Mäulchen, das sie im Lächeln machte, erinnerte mich an die freundliche Prinzessin Ameleya, wie sie sich so lieblich umschaute, da ich armer Radlauf ihr die nasse Schleppe trug nach ihrer Errettung aus der Rheinflut, damit sie ihr nicht so an die Beine schlagen sollte.
»Beruhigt euch ganz,« fuhr Frau Mondenschein fort, »Herr Cisio Janus lebt nicht mehr; ihr werdet hören, wie es ihm ergangen.« Ich zog mich, als ich Fußtritte hörte, etwas hinter den Schäfer Damon zurück, und siehe! da trat ganz außer Atem ein Mann herein, nicht jung und nicht alt; er sah aus wie einer, der alle Tage anders ist und doch immer einerlei, wie einer, der ewig fortfährt und am Ende wieder von vorn anfängt. Sein Mantel hatte drei Bahnen, sein Rock hatte drei Bahnen, sein Hemd hatte drei Bahnen, seine Hosen hatten drei Bahnen; jede dieser zwölf Bahnen war von anderer Farbe und in vier gleiche Felder geteilt; jedes dieser Felder wieder in sieben Feldchen, und jedes dieser sieben Feldchen in vierundzwanzig halb helle und halb dunkle Würfel; alle diese kleinen Felder auf den Kleidern des Herrn Cisio Janus waren mit den Todesanzeigen vieler berühmten Leute besteckt, deren Geister ihn jährlich einmal am bestimmten Tage besuchten. Wenn dieses besonders ausgezeichnete Leute waren, so waren die Anzeigen von roter Farbe. Alles dieses beobachtete er mit der größten Pünktlichkeit und war von oben bis unten und überall mit unzähligen Merkzeichen besetzt. Er hatte an jeder der zwölf Bahnen ein anderes Ordenszeichen hängen und folgte reihum dem Einfluß dieser großen Herren; sie waren wie die zwölf Himmelszeichen. Was mir aber ganz ärgerlich war, ist, daß er mein Porträt unzähligemal bald ganz voll und rot, bald
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