Rhosmari - Retterin der Feen
Königin Baldriana, Pechnelke und sogar Malve – von den Rhosmari bekannten Gesichtern fehlte nur das von Winka. Vollkommen lautlos und unentdeckt hatten die Feen die Kaiserin und ihre Gefolgsleute eingeschlossen – und erst jetzt hatten sie sich zu erkennen gegeben.
»Du kannst nicht fliehen, Jasmin«, sagte Königin Baldriana. Ihre Stimme hallte über den Strand. »Wir sind vielleicht nicht so viele wie ihr, dafür aber ausgeruht und bei Kräften, und im Unterschied zu euch haben wir auch Menschen auf unserer Seite. Habe Mitleid mit deinen Anhängern und erspare es ihnen, gegen uns zu kämpfen.«
Die Kaiserin hob trotzig das Kinn. »Einer Verräterin, die von einem Menschen abstammt, habe ich nichts zu sagen.«
»Verräterin an was?«, rief Peri, die weiter mit ihrer Armbrust auf die Kaiserin zielte. »Auch deine Untertanen haben alle mehr oder weniger menschliches Blut in sich, ob sie es zugeben wollen oder nicht. Der Kontakt liegt vielleicht einige Generationen zurück, aber es hat ihn gegeben. Die Eichenfeen sind dagegen die reinsten Feen, die es gibt, weil sie aus magischen Eiern schlüpfen. Das war ja übrigens deine Idee. Und ich war die ersten sechzehn Jahre meines Lebens selbst eine Eichenfee.«
Peri verlagerte ihr Gewicht, und ihre Haare leuchteten im Mondlicht auf und ihre schwarzen Augen glitzerten, sodass sie mehr denn je wie eine Fee aussah. »Ich habe mich entschieden, aus Liebe zu meinem Mann Paul ein Mensch zu werden, aber ich habe darüber nie vergessen, was es bedeutet, eine Fee zu sein.«
Zu meinem Mann Paul. Er fehlte auch, dachte Rhosmari und erschrak ein wenig. War ihm etwas zugestoßen? Es passte so gar nicht zu Paul, seine eben erst genesene Frau zusammen mit Timothy und einem Auto voller Feen allein nach Wales fahren zu lassen.
»Du dagegen wurdest als Mensch geboren«, fuhr Peri an die Kaiserin gewandt fort, »was du aber fast dein ganzes Leben lang bestritten hast. Wer von uns ist also der wirkliche Verräter an seinem Volk, Jasmin von der Eiche?«
Unter den Gefolgsleuten der Kaiserin kam Unruhe auf und einige rückten von ihr ab. Doch Jasmin bedachte sie mit einem warnenden Blick und sofort kehrte wieder Ruhe ein. »Erzähle, was du willst«, rief sie. »Vielleicht glauben dir einige meiner Untertanen in ihrer Einfalt auch. Aber niemand hat für mein Volk – mein wahres Volk – härter gekämpft und mehr geopfert als ich.«
Sie ging auf Baldriana und die Rebellen zu und ihre Armee folgte ihr im Gleichschritt. »Wenn es zuweilen den Anschein hatte, als behandelte ich meine Untertanen grausam, geschah es doch nur zu ihrem Besten. Genauso wie ich heute Abend um ihretwillen hier bin, nicht meinetwegen. Und wenn ich ihnen befehle, an meiner Seite bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen, dann nur deshalb, weil ich glaube, dass der Tod ein gnädigeres Schicksal ist als die Erniedrigung, die uns durch euch droht …«
»Die einzige Erniedrigung, von der hier die Rede sein kann, ist die Knechtschaft, in der du deine Untertanen hältst und die du auch uns und den Kindern des Rhys aufzwingen willst«, fiel Königin Baldriana der lauter werdenden Jasmin mit sanfter Stimme ins Wort. »Aber wie Rhosmari und Timothy soeben gezeigt haben, gibt es eine Möglichkeit, wie wir uns alle für immer von deiner Herrschaft befreien können, eine Lösung, die viel einfacher und wirkungsvoller ist als ein Namensstein. Um dich daran zu hindern, dass du uns unsere wahren Namen wegnimmst und zu Sklaven machst, brauchen wir nur jemanden zu finden – egal ob Fee oder Mensch –, dem wir vertrauen und dem wir unsere Namen stattdessen geben.«
Auf beiden Seiten wurden verblüffte und ungläubige Rufe laut. In Veronicas Augen war ein mörderisches Funkeln getreten, Hasenglöckchen blickte sich angewidert um. Ein wenig abseits lag Byrne blutend in den Armen seines Zwillingsbruders. Entkräftet hob er die Finger an Corbins Kragen und die beiden begannen miteinander zu flüstern.
»Tötet diesen Mischling«, befahl Jasmin ihren Soldaten mit wutverzerrtem Gesicht. »Tötet sie alle!«
Schwerter wurden rasselnd aus Scheiden gezogen, Pfeile auf Bogensehnen eingelegt. Vögel flogen so schnell und tief über den Strand, dass niemand sie aufhalten konnte. Veronica zog ihren Dolch, Martin sein Messer …
»Halt.«
Unheilvoll wie Donner erklang das Wort zwischen den Felsen. Die Feen erstarrten und drehten sich um. Am Rand des Wassers stand Lady Celyn. Langsam kam sie über den Strand näher.
Und sie kam nicht
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