Richard Dübell
Hause.«
Es war so unnütz gewesen, sie auf einen Kaffee einzuladen, wie es unnütz war, darauf zu hoffen, dass es sich nicht herumsprach, wenn man als junges Liebespärchen ausgerechnet auf den Stufen des Ostportals der Martinskirche überfallen worden war. Warum war sie überhaupt mit ihm in die Altstadt hinausgegangen? Hatte sie nicht mehr daran gedacht, dass sie sich einredete, sie würde sich nicht nach ihm sehnen? Hätte sie sich nicht so grob von ihm verabschiedet, wenn er das Richtige gesagt hätte? Peter fragte sich, was das Richtige war. Er war bekannt als jemand, der in Diskussionen das letzte Wort behielt. Bei Flora war er so gehemmt wie ein Neuntklässler, der das erste Referat seines Lebens vorträgt. Er sah ihr hinterher, wie sie mit raschen Schritten durch einen Durchgang schritt und unter den niedrigen Bäumen entlanglief, die dort gepflanzt worden waren, wo früher die Gräber gewesen waren. Er sah ihr hinterher, bis sie beim Chor des Doms um die Ecke bog und für ihn unsichtbar wurde. Sie hatten den Wagen in der Kehre abgestellt, die auf der Nordseite des Doms einen eigenen Platz bildete, und waren die paar Meter gegangen. Sie hätten auch von der Inspektion her zu Fuß gehen können; in Landshut lagen die meisten wichtigen Gebäude eng beieinander.
Peter horchte, bis Floras Schritte verklungen waren. Er biss die Zähne zusammen. Ihm fiel ein, dass er ihr hätte hinterherrufen können: Bis heute Abend bei der Probe! Es war ein Zeichen seiner Zuneigung zu ihr gewesen, dass er sich hatte überreden lassen, bei ihrem und Connors Projekt die dritte Rolle zu übernehmen. Aber vielleicht hätte sie den Hinweis auf das abendliche Treffen genauso in den falschen Hals gekriegt wie Peters unglückliche Bemerkung über den Kaffee und ihre gemeinsamen Erinnerungen.
Er liebte Flora mit jeder Faser seines Herzens. Und sie ließ ihn am ausgestreckten Arm verhungern.
3 .
Peters Wohnung befand sich in einem Haus, dessen größter Teil aus dem 15 . Jahrhundert stammte. Sie lag im ersten Stock über dem engen, kleinen Weg, der unterhalb des Dreifaltigkeitsplatzes an den Häusern vorbeilief und im Mittelalter, als der große, prächtige, von der Verkehrsberuhigung aus diversen Gründen ausgenommene Platz noch voller Häuser gestanden hatte, die Hauptstraße gewesen war. Die hölzernen Stufen zum ersten Stock hoch knarzten bei jedem Schritt. An sechs Tagen in der Woche zog der Essensgeruch aus dem kleinen Sushi-Restaurant im Erdgeschoss durchs Treppenhaus, und am siebten roch es nach Bohnerwachs und Essigreiniger, wenn die Putzfrau ihrer Pflicht nachkam.
Peter schloss die Tür auf und schob den Basketball dahinter weg, ohne hinzusehen. Der Boden in der gesamten Wohnung hatte eine Neigung, die man nicht bemerkte, wenn man sich darin bewegte, die sich aber einem Ball mitteilte. Egal, wo man ihn ablegte, er rollte innerhalb kurzer Zeit in Richtung Wohnungstür, dem niedrigsten Punkt der gesamten Wohnung. Die Wände waren hoch, die Decken rundherum mit echten Stuckleisten versehen; im Wohnzimmer, das auf den ersten Blick die Größe eines Fußballplatzes hatte, hing eine nackte Glühbirne in der Mitte eines barocken Deckenschmucks aus Stuck und Blattgold, im Schlafzimmer konnte man ein verblasstes Rankenfresko bewundern, und das leere Zimmer, das als Arbeits- oder Kinderzimmer geplant gewesen war, hatte pastellig rot, blau und ocker bemalte Bodenleisten. Die Wohnung war riesig. Viel zu groß für einen Bewohner.
Aber Peter hatte sie auch nicht gemietet, um allein dort zu wohnen. Als er damals nach Landshut zurückgekommen war und sich in sie verguckt hatte, war er nicht allein gewesen. Die Liebe zu der herrlichen Wohnung, die außer ihrer Schönheit nichts als Mängel aufwies, und die Liebe zu der großzügigen, weiträumigen Schönheit der Stadt, die seine Geburtsstadt war, war geblieben. Die Liebe zu der Frau, deretwegen er hierhergekommen war, allerdings nicht. Sie war ohne böse Gefühle vergangen und hatte nichts zurückgelassen als eine vage Erinnerung an leidenschaftliche Stunden und leidenschaftliche Streitereien – und diese Wohnung.
Peter schlüpfte aus den Schuhen und tappte ins Wohnzimmer. Es war komisch, wie man sich daran gewöhnte, dass man nur noch die Hälfte der Möbel besaß, mit denen man eingezogen war. Nach ein paar Jahren kannte man es nicht mehr anders. Der Gedanke, wie Flora, als sie zum ersten Mal hier gewesen war, halb spöttisch gesagt hatte, dass eine Frau, die Peters Herz erobern
Weitere Kostenlose Bücher