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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Aquariums, schon gar nicht am Strand eines Meers, sondern im luftigen Freizeitbereich einer Gebäudeanlage, die aus mehreren solcher Wohntürme und solcher Schwimmbecken bestand und aus einer Stadt aufragte, die weitab des Lebensraums jener Fische lag, welche eine derartige Zerfleischung zu leisten imstande waren.
    In diesen Etagen lebte ein in Fragen alltäglicher Auseinandersetzungen gemäßigter Mittelstand. Zehntausend Leute, nicht lauter Heilige, versteht sich. Jedoch kaum klassisches Gesindel. Ein paar Kampfhundbesitzer. Auch Aquarien, aber keine, in die ein Hai gepaßt hätte. Putzkolonnen waren tagaus, tagein unterwegs, um in den Hallen, Gängen und Liften jenen Gesichtsverlust zu verhindern, den vergleichbare Objekte in der Regel hinnehmen mußten. Nach zwanzig Jahren hatte die Anlage kaum an Substanz und Frische verloren, vorausgesetzt, man meinte überhaupt, daß es hier etwas zu verlieren gab. Bloß in den Schächten der Fluchttreppen zeugten Filzstift Graffiti, zertretene Kartoffelscheiben und hin und wieder ein demoliertes elektronisches Gerät vom intimen, codierten Unmut Jugendlicher.
    Nun, es gab also gefährlichere Orte in dieser Welt und in dieser Stadt. Andererseits war kein weltlicher Platz so sakrosankt, also auch dieser nicht, um vor einer Grausamkeit oder Monstrosität gefeit zu sein. Wobei wiederum eine jede Grausamkeit, so monströs sie wirken mag, einen logischen, vernünftigen Hintergrund besitzt. Gespenster, wenn sie denn existieren, verbleiben klugerweise in den Köpfen der Menschen. Nie und nimmer fungieren sie als Illusionisten oder Zirkuspferde. Und schon gar nicht verwandeln sie sich aus dem Nichts heraus in fleischfressende Knorpelfische, die in bürgerlichen Schwimmbassins Badegäste anfallen und töten, um dann wieder in jene Unsichtbarkeit zu verschwinden, aus der sie gekommen sind.
    Nein, es mußte eine nachvollziehbare Erklärung dafür geben, daß dieser von einem Haifisch entstellte Körper einbeinig in einem Pool trieb. Einem Pool, der – weitab mariner Gefilde oder auch nur zoologischer Einrichtungen – im Süden Wiens einen komfortablen Gebäudeabschluß bildete. Ein wäßriges Dach.
    Aber das Logische einer Erklärung ergibt sich in der Regel vom Ende her gesehen. Lukastik und seine Leute standen hingegen erst am Anfang. Und obgleich die erwähnte Kühle dieses Morgens eine große Wachheit verursacht hatte, empfand ein jeder von ihnen angesichts dieses völlig unpassenden Toten eine frustrierende Ratlosigkeit. Allein diverse Assoziationen halfen in diesem Moment, sich selbst eine bestimmte Richtung zu weisen. So erinnerte sich Lukastik an jene lang zurückliegende Zeitungsmeldung, in der man von einer Leiche berichtet hatte, die in einem niedergebrannten Waldstück gefunden worden war und dadurch größte Aufmerksamkeit erlangt hatte, daß sie mit einem Taucheranzug und einer Druckluftflasche ausgestattet gewesen war. Erst später hatte man eruiert, daß der Taucher – offensichtlich beim Aufnehmen von Meerwasser – in den Tank eines der Löschflugzeuge geraten und schließlich beim Auswerfen des Wassers von beträchtlicher Höhe – quasi im Moment der Löschung – auf den Boden des Einsatzgebietes aufgeschlagen war. In der Folge war dieser Vorfall nicht nur in den Zeitungen behandelt, sondern auch von einem berühmten Schriftsteller aufgegriffen worden. Allerdings konnte sich Lukastik nicht mehr daran erinnern, welcher berühmte Schriftsteller es gewesen war. Jedenfalls empfand er diese erstaunliche Geschichte als ein schönes Beispiel dafür, wie hinter der Skurrilität, ja Regelwidrigkeit eines ersten Eindrucks eine vollkommen logische, Punkt für Punkt nachvollziehbare, eine wahre, eine gott- und geisterlose Abfolge von Geschehnissen stehen konnte, nein, stehen mußte.
    Gut möglich, daß irgendein krankes Hirn sich diese deplazierte Haifischopfer-Inszenierung ausgedacht und mittels eines erheblichen Aufwands auch realisiert hatte, aber dann steckte eben noch immer das Faktum eines kranken Hirns dahinter und nicht irgendein übernatürlicher oder naturgesetzloser Vorgang. Am Ende würde es wie immer sein: banal. Gleich diesem Taucher, dessen mit einem Neoprenanzug umhüllter Körper inmitten verkohlter Bäume geradezu zauberisch, engelhaft und symbolträchtig angemutet haben mußte. Während das tatsächliche Geschehen zwar tragisch zu nennen war, aber dieselbe Ingredienz besaß wie jeder andere tödliche Unfall: dort gewesen zu sein, wo man nicht hätte sein

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