Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
sie, die Fische zu harpunieren oder zu angeln. Sie sprachen bloß magische Formeln, zitierten Texte der Popliteratur, schluckten irgendein Zeug, von dem man rote Ohren, blaue Zähne und weiche Knie bekam, und verhielten sich ansonsten recht gesittet. In dieser Nacht jedoch waren sie Zeugen geworden, wie Barwicks Leute den noch immer betäubten Lukastik in einen Taucheranzug gesteckt und mit einem Druckluftgerät versehen hatten, um ihn sodann an einem Seil befestigt in das schwarze Wasser zu befördern. Alles gemäß der präzisen Angaben Sternbachs. Barwicks Leute hatten unumwunden erklärt, was sie hier taten und inwieweit dies den Wünschen der reglosen Person zu ihren Füßen entsprach, jenes vermeintlichen Zwettler Friseurs und einstigen Rekordtauchers. Die Jugendlichen waren geradezu verzaubert gewesen über solche Dramaturgie und hatten sich spontan entschlossen, die ganze Aktion mit einer Form von Gebet zu begleiten. Ein derartiger Selbstmord war ihnen durchaus nachvollziehbar erschienen. Ein Tod unter Fischen. Zudem ein Tod als Ritual. Und damit außerhalb jener langweiligen Ordnung stehend, die vorsah, daß Menschen in Spitälern oder im Auto zu sterben hatten.
»Hör auf«, bat Lukastik, »von so was zu sprechen. Vater wird noch hundert werden. Das spüre ich in den Knochen.«
»Und du meinst wirklich«, zweifelte die Schwester, »auf deine Knochen sei Verlaß?«
»Absolut«, behauptete Lukastik und schob sich ein Salatblatt in den Mund, das die Form eines Papierfliegers besaß. Doch noch bevor er dazu kam, es hinunterzuschlucken, ließ er die Gabel fallen und griff sich an den Kopf, wobei er beide Handballen gegen die Seiten des Stirnbeins preßte. Ein Schmerz umgab Lukastik gleich einem schwarzen Ring. Wenige Sekunden nur, dann war alles vorbei.
»Was ist?« fragte die Schwester. »Deine Migräne?«
Sein Salatblatt zu Ende kauend, meinte Lukastik verärgert: »Ich habe dir schon einmal gesagt, daß von einer Migräne keine Rede sein kann.«
Es gab wenig Dinge, die Lukastik derart verabscheute wie Menschen mit Migräne. Menschen, die sich ihrer Migräne brüsteten. Lukastik hielt diese Leute allesamt für radikal selbstverliebt und größenwahnsinnig. Zwar nicht für Betrüger, aber doch für Blender, die eine tatsächliche und tatsächlich höchst schmerzhafte Erkrankung in eine Auszeichnung der eigenen Person uminterpretierten. Als seien sie von Gott persönlich mit dieser Krankheit geschlagen worden. Weshalb sie ihre Migräne über jedes andere Leiden stellten und meinten, daraus das Recht beziehen zu können, ihre Umwelt zu terrorisieren. Sie besaßen die Frechheit, sich selbst in ein erzengelartiges oder madonnenhaftes Licht zu stellen. Ganz abgesehen vom Licht schwermütiger Brillanz. Sie waren Meister darin, sämtliche Aufmerksamkeit zu absorbieren, ganz gleich, ob sie gerade einen Anfall erlitten oder nicht. Auch wenn sie allergrößte Banalitäten von sich gaben, haftete diesen Banalitäten der angebliche Adel einer kopfschmerzenden Persönlichkeit an. Migräniker taten alle, als seien sie Nietzsche.
Verständlich also, daß Lukastik mit solchen Leuten nicht in einen Topf geworfen werden wollte. Die Kopfschmerzen, die ihn alle paar Tage aufsuchten und für einen kurzen Moment in eine absolute Dunkelheit versetzten, brachte er fortgesetzt mit seinem »Fisch im Kopf« in Zusammenhang. Dieser Fisch, so Lukastik, sei ein Produkt jener kleinen Ewigkeit, die er in den lichtlosen Tiefen von Sharks Pool zugebracht habe. Auch gehe er davon aus, den zerebralen Begleiter bis ans Ende seiner Tage zu behalten. Wogegen nichts zu sagen sei. Der Schmerz bedeute eine Art von Reinigung, welche das Kiementier in seinem Schädel vornehme. Nicht anders als ein symbiotisches Wesen, das seinen Partner von Parasiten befreit.
»Ein Putzerfisch in meinem Kopf«, erläuterte Lukastik.
»Meine Güte«, stöhnte die Schwester, »du bist wirklich verrückt geworden von dieser fürchterlichen Geschichte.«
»Kaum«, sagte Lukastik und dachte sich, daß, wenn er wahrhaftig verrückt geworden wäre, er jetzt seiner Schwester ein Kompliment gemacht hätte, etwa wie wunderbar ihr dieses Kleid stünde und wie schön sie noch immer sei und wie nobel es anmute, wenn sie ein einfaches Kalbsbeuschel verzehre und so weiter und so fort. Statt dessen sagte er: »Na ja, vielleicht ein wenig. Aber nicht so schlimm, als daß ich deswegen aufhören müßte, Polizist zu sein.«
»Das zu hören, wird unsere liebe Mutter grämen«,
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