Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
Hinweis auf die Identität des Toten?«
»Nichts«, sagte Lukastik. »Keine Kleidung, kein Ausweis, keine Wohnungsschlüssel. Die Leiche wurde von einem Angestellten des Reinigungsdienstes gefunden. Der Mann war außer sich vor Angst. Ich habe ihn wegbringen lassen, damit unsere Freunde von der Presse gar nicht erst in Versuchung geraten, ihre demokratische Pflicht zur Ausquetschung eines Zeugen zu erfüllen.«
»Was heißt wegbringen lassen ?« empörte sich der Berater des Bürgermeisters. »Das klingt nach vorgestrigen Schutzhaftmethoden.«
»Ach, wenn Sie so wollen«, blieb Lukastik gelassen und verabschiedete sich. Er behauptete nicht einmal, zu tun zu haben. Die Lächerlichkeit, den Gestreßten zu spielen, ersparte er sich. Er spielte bloß den Gelangweilten.
Der Major sah hinter Lukastik her, als bemerke er eine Unregelmäßigkeit, etwa unterschiedlich lange Hosenbeine oder einen dunklen Fleck auf der Rückseite des hellen Jacketts. Freilich war weder das eine noch das andere der Fall. Die Unregelmäßigkeit, die der Major zu erkennen meinte, lag gewissermaßen hinter allem Materiellen.
»Schrecklicher Mensch«, sagte der Jungblüter. »Rückständig und gleichzeitig eitel. Eine schlimme Kombination.«
»Ein Polizist«, antwortete der Major vielsagend. Nicht, daß er seufzte. So weit ging er nun doch wieder nicht.
2 Die Studierstube Dr. Pauls war weit weniger gemütlich, als der Name dies hätte vermuten lassen. Vielmehr handelte es sich um einen der üblichen Sezierräume, nicht ganz neu, nicht ganz alt. Die Fensterreihen waren von pastellfarbenen Jalousien verdeckt. Von der Decke strömte Bürolicht. Drei metallene Flächen thronten auf quadratischen Sockeln. Man konnte darauf, so Dr. Paul, liegen wie auf schwebenden Betten. Traumhaft, weit besser als auf Zahnarztstühlen oder auf jenen Operationstischen, die einem möglichen Überleben gewidmet waren.
Es sei so typisch wie traurig, erklärte der Arzt weiter, daß es sich ausgerechnet auf einer solchen, dem Zerschneiden von toten Körpern zugeeigneten Liegefläche besonders gut ausruhen lasse. Er könne das beschwören, habe den einen oder anderen Mittagsschlaf darauf verbracht, im bekleideten Zustand, versteht sich, und mit einer Decke als Unterlage. Weniger der Bequemlichkeit wegen. Mehr als eine Geste, um den Unterschied zum eigentlichen Zweck dieser Konstruktion zu bekunden.
Als nun Lukastik nachmittags den Raum betrat, war allein der mittlere der drei Tische belegt. Darauf lag der um ein Bein und eine Hand verminderte Körper jenes unbekannten Toten. Dr. Paul saß hinter seinem Schreibtisch, hatte sich zurückgelehnt und rauchte. Er rauchte in der Art wie jemand, der beim Ausblasen Ringe erzeugt, nur daß er eben nicht wirklich welche hervorbrachte, sondern sozusagen Variationen zum Thema »Ringe«. Der Begriff der Variation ließ auch noch das kümmerlichste Gebilde als Ring durchgehen. Jedenfalls wirkte Dr. Paul entspannt. Die Ecke, in der er saß, war so gestaltet, daß der Begriff der »Studierstube« doch noch eine Entsprechung fand, indem nämlich zwei überlebensgroße hölzerne Regale den Rücken des Mediziners abdeckten, Regale, in denen abgegriffene und an vielen Stellen weit in den Raum stehende Folianten den Eindruck unbedingten Studierwillens dokumentierten. Keine zehn Computer hätten eine solche Wirkung vollbracht. Es bleibt dabei: Allein Bücher – am besten, wenn ihre Umschläge blaß anmuten wie blutarme Prinzessinnen – sind dazu imstande, die Intelligenz und Bildung eines Menschen optisch und exemplarisch zur Schau zu stellen.
Auf dem Tisch lagen ein paar bemalte Knochen, Geschenke von Dr. Pauls Kindern aus erster Ehe. Ein Diktiergerät stand aufrecht wie ein Bergkreuz auf einem hohen Stoß von Büchern. Zwei Bildschirme waren auf einem abseits positionierten Tischchen untergebracht, als stelle ihre Benutzung nicht die Regel dar, sondern sei bloß Folge eines Notfalls.
Dr. Paul wies Lukastik mit einer Armbewegung einen freien Stuhl zu, während er mit der anderen Hand hinüber auf die Leiche zeigte und sagte: »Kein Zweifel mehr. Der Mann wurde von einem Hai getötet.«
Auf der Schreibfläche vor Dr. Paul, auf einer mit Papier unterlegten Glasplatte aufgereiht, befanden sich mehrere kleine Splitter. Eins dieser Fragmente hob er mit einer Pinzette in die Höhe, hielt es gegen das Licht und erklärte, daß es sich dabei um das Bruchstück eines Haizahns handle.
»Und sehen Sie das hier«, sagte
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