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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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dem der Träger seine Gerät aus dem Ohr nehmen könne.
    »Ein modernes Ding«, erklärte die Frau. »Neueste Technologie. Und, wenn man so will, perfekte Tarnung. Muß eine Spezialanfertigung sein, eine dem Gehörgang des Trägers angepaßte Form.«
    »Wie ein Fußabdruck?« fragte Lukastik.
    »Könnte man so sehen«, sagte die Frau. »Gehörgänge unterscheiden sich. Jedenfalls dürfte es nicht schwer sein, zu überprüfen, ob der Tote diesen kleinen Verstärker getragen hat. Es wäre schon ein sehr merkwürdiger Zufall, wenn jemand anders, dessen Ohr eine vergleichbare Kontur besitzt, gerade jetzt sein Hörgerät in diesem Schwimmbecken verloren hätte. Kaum vorstellbar. Nein, wenn das Gerät paßt, dann stammt es von unserer Leiche. Mittlerer Hörverlust, schätze ich.«
    Sie beugte sich hinunter, sah in das eine Ohr des Toten, schob dann seinen Schädel auf die andere Seite und betrachtete das zweite Ohr. Beide Gehörgänge waren leer. Entweder hatte der Mann nur in einem seiner Ohren über eine Hörhilfe verfügt oder ein weiteres Exemplar befand sich noch im Pool. Oder aber das digitale Maschinchen gehörte eben doch zu einer ganz anderen Person.
    Lukastik betrachtete mit einigem Widerwillen diese Abformung einer Körperöffnung zwischen seinen Fingern. Es kam ihm jetzt vor, als halte er ein Bruchstück des Leichnams in der Hand, und zwar einen lebendig gebliebenen Teil, der losgekoppelt von seinem toten Wirt noch immer in der Lage war, genauestens zu hören, was da um ihn herum gesprochen wurde. Vielleicht sogar ein wenig mehr, als ein konventionelles Ohr aufzunehmen imstande war. Auch meinte Lukastik eine bestimmte Elastizität zu spüren. Nicht, daß er wirklich an die Beseeltheit oder gar einen hinterlistigen Zerstörungs- und Unterdrückungswillen technischer Geräte glaubte, aber er ahnte eine gewisse Eigenständigkeit. Als führten diese Apparaturen und Maschinen abseits ihrer Funktion ein unabhängiges, durchaus tiefschürfend zu nennendes Leben. Als sei ihnen die reale Welt bloß ein Traum.
    »Stecken Sie’s ein«, sagte Lukastik und reichte der Frau das Hörgerät.
    Sie öffnete eine handtaschengroße Plastikhülle, in die sie das Objekt behutsam gleiten ließ. Genau da war er wieder, der liebevolle Umgang mit den kleinen Dingen, die wie gefallenes Laub einen Toten umgaben.
    Lukastik wies an, das Hörgerät an Dr. Paul zu schicken, damit dieser feststellen könne, ob es tatsächlich dem Ohr des Toten entstamme. Welcher übrigens nicht nackt war, sondern im Einklang mit der Vorstellung, daß jemand in ein solches Becken nicht zum Sterben ging, sondern zum Schwimmen, eine Badehose trug. Und zwar eine sportiv geschnittene, dunkelblaue, auf der das Logo eines bekannten Sportausstatters in dottergelber Farbe dreifaltig leuchtete.
    Ansonst fand man nichts, was von Bedeutung schien. Einige Knochensplitter und kleine Fleischteile, die wohl vom Toten stammten. Außerdem ein Kinderspielzeug, das mit der Sache höchstwahrscheinlich nichts zu tun hatte. Unauffälliger Kleinkram: Haare, Zehennägel, Dreck, was eben in jedem Schwimmbad so zusammenkam. Auch wurden mehrere Wasserproben entnommen. Zusätzlich gab Lukastik Anweisung, feine, großflächige Filter durch das Wasser zu ziehen. Er wollte keinesfalls etwas unversucht lassen, um eine optimale Spurenausbeute zu gewährleisten. Die vier Aufzüge, sämtliche Zugänge, die Nottreppe, der unterirdische Garagenbereich, alles sollte penibelst durchleuchtet werden.
    Jemand von der Spurensicherung, der mit einem weichen Pinsel über den Boden einer Liftkabine strich, fragte laut, wonach man hier eigentlich suchen würde. Etwa nach Spuren eines meterlangen Hais?
    Gegen zehn, kurz bevor die Leiche abtransportiert werden sollte, erschien Lukastiks Vorgesetzter zusammen mit einem blutjungen Mitarbeiter des Bürgermeisters. Trotz seiner blutigen Jugend fiel dem Mann eine bedeutende Aufgabe zu, indem er alles und jedes, was in dieser Stadt an Öffentlichem geschah, auf Nutzen und Schaden zu untersuchen hatte. Für einen modernen Menschen wie ihn gab es nichts Schreckliches, in dem nicht auch ein Nutzen gärte. Dinge zu verbergen, zu unterdrücken war passé, pure Vertuschung eine Methode der politischen Steinzeit. Freilich verbarg sich umgekehrt auch in einem jeden Nutzen der Wille zur Katastrophe.
    Der Vorgesetzte, seines Zeichens Major, sowie der blutjunge Mensch standen mit verschränkten Armen und ein klein wenig breitbeinig vor der Leiche. Ein Handy klingelte. Es

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