Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
Pistole trägt. Das schafft natürlich Unbehagen, aber wieviel gefährlicher sind Personen, die Pistolen tragen, die sie verbergen. Man wird das Ding immer erst zu Gesicht bekommen, wenn daraus geschossen wird.
    Als Vinzent Olander in der Lobby eines Wiener Hotels dieser jungen Frau über den Weg lief – genauer gesagt über sie stolperte –, da hatte er gerade sein fünfundvierzigstes Lebensjahr erreicht. Allerdings fühlte er sich zu diesem Zeitpunkt sehr viel älter. Was man ihm nicht ansah, eingedenk seines damals etwas farbigeren Picabia-Gesichts und der noch nicht weißblonden, sondern goldblonden Haare. Aber die meisten Menschen, die gesund aussehen, sind es nicht. Olander jedenfalls erwischte in dieser Phase eine Verkühlung nach der anderen, selbst während des Sommers. Und Sommer war es auch, als er schniefend durch das Hotel marschierte, um einen Kunden zu treffen, der nach Wien gekommen war, um in eine von Olanders Firmen zu investieren. Olander war kein richtiger Wiener, er lebte hier bloß, ohne die Stadt eigentlich zu mögen. Noch sie zu hassen. Sie war ihm weder ein süßer Traum noch eine finstre Hölle. Er hielt sie für überschätzt, von allen überschätzt, von ihren Freunden wie Feinden. Das beste an Wien waren die Banken beziehungsweise die Art und Weise, wie hier Geld-geschäfte abgewickelt wurden. Es war diese Mischung aus Schweiz, Philippinen, Cayman-Inseln und Laientheater, die viele Transaktionen erleichterte. Wenn man denn wußte, mit den zuständigen Leuten umzugehen. Und Olander wußte es. Er kannte sich aus, kannte die Regeln, die Umgangsformen, die Notwendigkeit diverser Zierde. Bei alldem war er jedoch leidenschaftslos. Er war kein Geschäftsmann aus Passion, er war ein Geschäftsmann aus Not. Wie jemand, der erklärt, nichts Besseres gelernt zu haben.
    Und da ging er also, einen Blumenstrauß in der Hand, durch die Lobby eines der besseren Hotels dieser Stadt. Der Blumenstrauß war für die Gattin seines Geschäftspartners. Daß die Blumen nicht die waren, die Olander bestellt hatte, empfand er als ein schweres Übel. Er fühlte sich unsicher. Falsche Blumen waren wie falsche Zahlen. Am Ende, wenn zusammengerechnet wurde, gab es meistens Ärger.
    Solcherart abgelenkt, eigentlich nur noch auf die Blumen schauend und in diesbezügliche Gedanken vertieft, lief Olander in eine junge Frau hinein, rannte sie geradezu um, sodaß er gemeinsam mit ihr stürzte, während der Blumenstrauß sich selbständig machte und davonflog. So konnte Olander, während er auf dem Boden landete, das Gesicht der Frau sehen, die er mit sich gerissen hatte. Er half ihr auf, war natürlich untröstlich und so weiter.
    »Ist ja nichts geschehen«, sagte sie. Sie sprach weder laut noch leise, weder erregt noch betont gelassen. Sie sprach einen geraden Satz durch einen geraden Mund. Und das ist eine Seltenheit. Häufig ist der Satz schief, oder der Mund ist schief. Meistens beides. Hier aber war alles gerade, das ganze Gesicht, der ganze Körper, die Haltung, die Mimik, ohne daß aber der Eindruck einer trickreichen Modellierung entstand. Die Geradheit dieser jungen Frau kam nicht konstruiert daher, nicht wie aus dem Windkanal der Modejournale. Ihre Beine waren nicht länger als lang, ihre Figur nicht schlanker als schlank. Die Reinheit ihres Gesichtes schien frei von schwerwiegenden Manipulationen. Der Eindruck des Zierlichen frei von Drogen und Schwermut. Dem Engelsgleichen ihrer Erscheinung wiederum fehlte der Heiligenschein. Hier stand ein Mensch. Ein Mensch ohne Flügel. Zumindest konnte man die Flügel nicht sehen.
    »Ich würde gerne…« Olander stockte. Ja, was würde er denn gerne?
    »Ich sagte doch schon, es ist nichts geschehen«, machte die junge Frau klar, keinen Grund dafür zu sehen, daß der Mann, der sie gerade umgerannt hatte, jetzt auch noch die Situation auszunützen versuchte, indem er sie etwa zum Abendessen einlud.
    »Sie haben sich auch wirklich nicht verletzt?« fragte Olander.
    »Nein«, erwiderte sie ruhig, drehte sich um und ging.
    Olander sah ihr hinterher. Auch ihr Gang war sehr gerade. Gerade, nicht steif. Auf eine elastische Weise gerade. Auch nicht schwebend, sondern einen Fuß fest und sicher vor den anderen setzend. Und nur ein sehr genauer Beobachter hätte erkannt, daß diese deutliche Bodenhaftung etwas Gespieltes besaß. Wie auch das Fehlen eines sichtbaren Ausschlagens der Hüfte. Diese Frau hielt ihre Hüfte in Schach. Ganz so, wie man einem gescheiten Kind verbietet,

Weitere Kostenlose Bücher