Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
seine Gescheitheit auszuspielen.
Olander aber war alles andere als ein guter Beobachter, nie gewesen, und schon gar nicht in diesem Moment, da er dieser Frau nachgaffte. Obgleich kein ausgesprochener Frauenheld, war er dennoch erfolgreich. Sein Aussehen stimmte und sein Bankkonto stimmte. Das genügte, um Nächte, in denen er sich alleine fühlte, nicht alleine zu verbringen. Geheiratet allerdings hatte er nie. Auch keine Kinder in die Welt gesetzt. Und er war niemals einer Frau nachgelaufen. Entweder eine Frau blieb von selbst stehen oder nicht. Entweder kam die Sonne hinter den Wolken hervor, oder sie kam nicht. So einfach war das. Wer auch wollte eine Sonne zwingen?
Doch jeder Mensch hat ein Falleisen, in das er steigt. Olander ließ den Blumenstrauß liegen, wo er gelandet war, und bewegte sich rasch hinter der jungen Frau her. Kurz vor der Drehtüre, die hinaus auf eine der Prachtstraßen Wiens führte, holte er sie ein. Sie spürte ihn wohl kommen, bremste ab. Erneut lief er auf sie auf. Na, wenigstens warf er sie diesmal nicht zu Boden.
»Ist das ein Trick von Ihnen«, fragte sie, »so lange mit jemand zusammenstoßen, bis er mürbe wird? – Ich werde nicht mürbe, ehrlich.«
»Ich wollte wirklich nicht… Sie sind ganz plötzlich stehengeblieben.«
»Wie dumm von mir, so einfach stehenzubleiben. Allerdings wäre alles leichter, würden die Leute Abstand halten.«
»Normalerweise halte ich auch Abstand«, erklärte Olander.
»Und warum ist heute nicht normalerweise?«
»Es hat mit den Blumen begonnen, mit den falschen Blumen… Aber das führt zu weit.«
»Das glaube ich auch.«
»Ich will mich Ihnen nicht aufdrängen«, sagte Olander, einen Schritt zurücktretend. Einen kleinen Schritt. »Andererseits ist es ja so, wenn ich Sie jetzt einfach gehen lasse, werde ich Sie wahrscheinlich nie wieder sehen.«
»Und Sie denken also, das wäre ein Unglück. Vielleicht aber wäre es das Gegenteil.«
»Darauf sollte man es ankommen lassen«, meinte Olander.
(Das meint sich nämlich so leicht. Ununterbrochen erklären Leute auf dieser Welt: Ach, probieren wir doch mal! Und wissen nicht, was sie da sagen.)
Die junge Frau betrachtete Olander von der Seite her, wie man einen Baum betrachtet, dessen Dicke man einschätzt. Allerdings war ihr Blick nicht ohne Sympathie. Man kann nämlich sogar Sympathie für einen Baum haben, den man umzusägen plant.
Aber vielleicht war alles auch sehr viel weniger dramatisch, und die junge Frau dachte sich: Warum nicht? Jedenfalls nahm sie Olanders Einladung an, sich später am Abend, wenn beide ihre Termine würden erledigt haben, noch in der Hotelbar zu treffen.
Und sodann geschah nichts, was dieses Treffen hätte verhindern können. Es kam zustande, als hätte ein Geist einen schönen massiven Zaun um die Sache gebaut.
Vinzent Olander orderte Portwein. Dann nannte er endlich seinen Namen und erzählte, was er so tat. Beziehungsweise konzentrierte er seine Selbstdarstellung darauf, kein Wiener zu sein, wie man sagt, man sei kein Giftzwerg.
»Ich heiße Yasmina Perrotti«, sprach die Frau und legte einen Finger auf die spiegelnde Theke, als produziere sie einen polizeilichen Fingerabdruck.
Ja, der italienische Akzent war Olander natürlich gleich zu Anfang aufgefallen, obwohl Yasmina nicht ausgesprochen italienisch aussah, wenn man sich das Italienische als eine Bräunungscreme des Lebens vorstellt. Die es mit sich bringt, daß Italiener selbst dann braun werden, wenn sie im Schatten stehen.
Yasmina Perrotti hatte graublaue Augen, dunkelblondes, glattes Haar, Strähnen von unterschiedlichen Gelbtönen, im Haar wie in den Augen, dazu einen blaßrosa Teint, Sommersprossen auf dem Nasenrücken, die ein Muster bildeten, das entfernt an einen Notenschlüssel erinnerte. Sie wirkte eher irisch, hübsch irisch, was es ja auch gibt. In Irland sehen nicht alle aus wie ausgeblutete Sturmvögel.
Yasmina erzählte von ihrer Arbeit an der Mailänder Scala. Sie war Bühnenbildnerin, offensichtlich eine erfolgreiche, trotz ihrer Jugend. Fünfundzwanzig. Das waren dann also zwanzig Jahre Unterschied. Nicht so schlimm, dachte Olander. Zwanzig Jahre waren nicht genug, um sagen zu müssen : Ich könnte dein Vater sein.
Vater allerdings wurde Olander dennoch. Denn ein halbes Jahr später heiratete er Yasmina, und gut eineinhalb Jahre, nachdem die sichthindernde Barriere eines Blumenstraußes dieses Zusammenfinden zweier Personen ermöglicht hatte, brachte Yasmina ein Mädchen zur Welt.
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