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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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habe), da erklärte er: »Das hängt mit der Unschärferelation zusammen.«
    Nun, das war alles andere als ein geeigneter Beginn, um Bauern eine Bauerngeschichte vorzutragen. Doch immerhin typisch Lukastik. Folgerichtig beschwerte sich sein direkter Vorgesetzter: »Sakrament, Lukastik, was soll das jetzt wieder heißen?«
    »Ganz einfach«, sagte der Chefinspektor. »Wie Sie wissen, oder wissen sollten, kann man nicht gleichzeitig den Ort und den Impuls eines Teilchens messen. Um so genauer man die eine Position lokalisiert, um so ungenauer wird der Wert der anderen. Wir aber, wir Polizisten, versuchen dauernd, beides – Ort und Impuls – auf den Punkt genau festzulegen. Doch das ist Humbug. Und aus diesem Humbug ergeben sich verwackelte Bilder, zittrige Zeichen, widersprechende Zahlen, ungenaue Indizien, falsche Täter, falsche Opfer. Unschärfen eben. Und wir müssen sodann eine Menge herumschummeln, retuschieren, schönreden und schlechtreden, um ein einigermaßen nachvollziehbares Bild vorspiegeln zu können.«
    »Sie spucken große Töne, mein Lieber«, ließ sich der anwesende Polizeipräsident vernehmen, »dafür, daß Sie im Verdacht stehen, zwei Morde begangen zu haben.«
    »Sie wissen, daß ich das nicht habe.«
    »Es wird uns kaum gelingen«, betonte der Oberchef, »mittels einer physikalischen Theorie die Beweise gegen Sie außer Kraft zu setzen.«
    »Diese Beweise würden maximal für meine Blödheit sprechen. Und ich denke, ich bin zwar unsympathisch, aber nicht blöd.«
    Der Präsident grinste verächtlich und meinte: »Ein Intelligenztest wird Sie nicht retten.«
    »Natürlich nicht. Interessant aber wäre das Motiv. Geld? Eifersucht?«
    »Wir wäre es mit Wahnsinn?« schlug irgendein Geheimdienstmensch vor.
    »Wahnsinn ist ein Zustand, aber kein Motiv«, erklärte Lukastik.
    »Das denken alle Wahnsinnigen«, meinte der Mann.
    »Ich denke vor allem eines«, sagte Lukastik mit einer Ruhe, die gespielt war und dennoch echt, »daß nämlich die Wahnsinnigen immer in der Mehrzahl sind. Die Mehrzahl ist geradezu ein Beweis für den Wahnsinn.« Dabei sah er in die Runde der Polizeiherren und lächelte.
    Das war’s dann mal. Lukastik kam in Untersuchungshaft. Allzu große Schikanen brauchte er allerdings nicht zu befürchten. So wenig wie ein Roboter oder Androide Schikanen zu befürchten braucht. Eine Maschine wird nicht gequält und tyrannisiert. Maschinen werden für unempfindlich gehalten. So wie man glaubt, ein durchgeschnittener Apfel fühle keinen Schmerz. Es ist ein Glück für die Äpfel, daß die Menschen das glauben. Wüßten sie es nämlich besser, man kann sich vorstellen, was tagtäglich mit Äpfeln alles geschehen würde.

22
    Heut am Morgen
    Als die Finken sich über den Lärm der Möwen grämten
    Dacht ich mir
    Mein Gott, wie schnell die Kinder heutzutage wachsen
    Man kann es richtiggehend riechen
    Die Wetterseite aber
    Die ist wie immer
    Störrisch
    Olander legte den Bleistift neben das Papier und erhob sich. Mit gepreßten Augen und verengten Lidern betrachtete er die Schrift auf dem Papier. Er nickte wohlwollend. Er war der Meinung, daß wenn ein Gedicht gelungen war, man das auch sehen konnte. Was nichts mit der eigenen Schrift zu tun hatte, die ja im Grunde immer die gleiche blieb, also nicht etwa im Falle schlechter Gedichte holpriger oder unleserlicher wurde. Nein, es war der Eindruck von etwas Kompaktem, das strahlungsartig hinter dem Schriftbild lag und nur von einem gelungenen Gedicht verursacht werden konnte. Man könnte sagen: Ein gelungenes Gedicht hatte keine Löcher.
    Olander schrieb jetzt also Gedichte. Das mag zu der Annahme verleiten, daß es mit ihm weiter bergab ging. Schlimmer als je zuvor. Aber das war nicht der Fall. Seine Gedichteschreiberei stellte bloß ein kleines Hobby dar. Während andere zeitig am Morgen zum Joggen aufbrachen, brach Olander zeitig am Morgen zum Dichten auf. Ohne es zu wollen, war er zum Frühaufsteher geworden. Wahrscheinlich hing es damit zusammen, daß er nicht mehr trank. Jedenfalls mußte er die frühen Stunden überbrücken, bis auch die anderen aufgestanden waren und das Leben sich mit Alltäglichkeiten über ihn ergoß.
    Der Ausblick aufs Wasser war nicht schlecht. Im Grunde war er besser als die Wahrheit. Denn wenn man hinunter zum Ufer stieg, geriet man in einen unangenehmen Schlamm, mußte über Berge von angeschwemmtem Seegras steigen, auch über jede Menge Müll, den das große Meer in die kleine Bucht spülte. Aber wie gesagt,

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