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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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zurückerhalten. Zum ersten Mal war am 1. November 1852 ein Werk von ihm in München erklungen: die Tannhäuser -Ouvertüre, von Franz Lachner im Allerheiligen-Konzert der Musikalischen Akademie dirigiert. Das Publikum reagierte damals teils ratlos, teils empört zischend. Gleichwohl plante Franz Dingelstedt, seit einem Jahr Münchner Hoftheater-Intendant, eine Aufführung des Tannhäuser , und er nahm sogar schon Verhandlungen mit Wagner in seinem Züricher Exil auf. Doch Regierung und Presse protestierten: »Der Orpheus, welcher im Dresdener Mai-Aufstande [1849] durch sein Saitenspiel Barrikaden gebaut, ins Zuchthaus zu Waldheim [wo Wagners revolutionärer Freund August Röckel einsitzt] gehört er, nicht in das Münchner Opernhaus.« (Sebastian Röckl, Ludwig II. und Richard Wagner , Bd. I., München 1913, S. 3)
    Vor allem dem bayerischen Außenminister Ludwig von der Pfordten, der in den Revolutionsjahren Minister des Königs von Sachsen gewesen war und nun eine Wagner-Aufführung wegen der engen Beziehungen des bayerischen zum sächsischen Hof nicht verantworten wollte, war der »Barrikadenmann« ein Dorn im Auge. Nach der Münchner Lohengrin -Erstaufführung von 1858 bekennt er dem Schauspieler Philipp Schröder-Devrient seinen »persönlichen Widerwillen gegen Wagner«: »Diese Überhebung der Persönlichkeit, wie sie in Richard Wagner auftrete, sei das zerstörende Moment unsres heutigen Lebens und Staatswesens, und wenn die Fürsten nur ein wenig zusammenhielten, wie die Demokraten es tun, so dürfte Wagnersche Musik nirgends aufgeführt werden.« (Röckl I, 16)
    Dingelstedt musste zunächst zurückstecken, doch zwei Jahre später konnte er bei König Maximilian II., der Wagner aufgeschlossen gegenüberstand, unterstützt von dem wagnerbegeisterten Herzog Max in Bayern (durch den einige Jahre später Ludwig II. Wagners Schriften Das Kunstwerk der Zukunft und »Zukunftsmusik« kennenlernen sollte), die Genehmigung zur Aufführung des Tannhäuser durchsetzen. »Wir wollen nicht sächsischer sein als der König von Sachsen«, soll der König im Hinblick auf die Tatsache gesagt haben, dass auch das Dresdener Opernhaus wieder Wagnersche Werke in seinen Spielplan aufgenommen hatte (Röckl I, 4). Am 12. August 1855 ging Tannhäuser unter der musikalischen Leitung von Franz Lachner zum ersten Mal mit bedeutendem Erfolg über die Bühne des Hoftheaters. Am 28. Februar 1858 folgte mit erheblich schwächerer Resonanz die Erstaufführung des Lohengrin . Die Münchener Erstaufführung des Fliegenden Holländers wird erst unter Wagners eigener Leitung am 4. Dezember 1864 zustande kommen.
    Von den ersten Tagen der Begegnung zwischen Ludwig II. und Wagner an ist diese »Königsfreundschaft« von einem in ihrem Briefwechsel bis zur Exaltation gesteigerten hohen Ton bestimmt, der von Ludwig angeschlagen und von Wagner – dessen Briefstil eigentlich ein ganz anderer ist: impulsiv und oft von drastischem Humor geprägt – notgedrungen ebenfalls als Maske aufgesetzt wird. Auch in den Zeiten der tiefsten Krise der Freundschaft wird dieser emphatische Ton beibehalten, der sich schon in den jeweiligen Anredeformen manifestiert: »Mein innigst Geliebter«, »Ein und All! Inbegri ff meiner Seligkeit«, »Urquell des Lebenslichtes«, »Wonne des Lebens« usw. – so der König, »Mein angebeteter, engelgleicher Freund«, »Königlichster aller Könige! Liebenswürdigster aller Geliebten!« – so stilverwandt Wagner.
    Tritt eine Verstimmung zwischen dem König und seinem Künstler ein, hüllt jener sich in Schweigen und setzt doch den Briefwechsel nach einer Pause im selben Stil fort, als wäre nichts geschehen. Dass Ludwig II. trotz aller menschlichen Enttäuschungen Wagner nie hat fallenlassen, obwohl er sich seiner Umgebung gegenüber mit scharfen Worten von ihm distanzieren konnte, hat seinen Grund darin, dass ohne ihn sein Leben das Gravitationszentrum verloren hätte. So lebte er damit, den wirklichen vom imaginären Wagner zu unterscheiden (er ging so weit, den wirklichen gegenüber seinen Beamten in Anführungszeichen zu setzen: »Wagner«), verwandelte er seine Beziehung zu ihm in ein Ideal, dessen Kollision mit der Wirklichkeit dadurch vermieden wurde, dass er Wagner aus dem Wege ging. (Nach 1868 kam es nur noch zu zwei Begegnungen zwischen König und Künstler.) Die Beziehung funktionierte zuletzt nur noch literarisch: die Freundschaft wurde zum Briefroman, dessen eigentlicher Autor der König gewesen ist. 258 Briefe hat

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