Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
aus!« (SB XVI, 102 f.) Dieses Wunder aber soll Wagner am 3. Mai in Stuttgart, wohin er zu Verhandlungen über die Aufführung seiner Opern gereist ist, wirklich begegnen.
Ein König für das Kunstwerk der Zukunft – Ludwig II. und München
Am 10. März 1864 stirbt der König von Bayern Maximilian II. Kaum hat sein achtzehnjähriger Sohn Ludwig II. den bayerischen Thron
bestiegen, erteilt er dem als Kabinettsvorstand fungierenden Hofrat von P fi stermeister den Auftrag, Wagner aufzusuchen und nach München einzuladen. Anfang Mai tri ff t P fi stermeister auf der langwierigen Suche nach Wagner zwischen Wien und Züricher See in Stuttgart ein. Wagner lässt sich, »stets auf Übles mich vorbereitend« (ML 755), zunächst verleugnen. Doch am Vormittag des 3. Mai kommt es zur Begegnung mit P fi stermeister, der Wagner ein koloriertes Porträtphoto, einen Ring im Portefeuille und eine Botschaft des Königs überbringt, die seine tiefe Zuneigung zum Werk Wagners o ff enbart und ihn nach München einlädt. Das kaum erho ff te »Wunder«, von dem er im Brief an Cornelius vom 8. April gesprochen hat, das ihn allein noch retten könne, ist eingetreten. Auf der Stelle sendet er dem König mit »Thränen himmlischester Rührung« seinen Dank: »um Ihnen zu sagen, dass nun die Wunder der Poesie wie eine göttliche Wirklichkeit in mein armes, liebebedürftiges Leben getreten sind! – Und dieses Leben, sein letztes Dichten und Tönen gehört nun Ihnen, mein gnadenreicher junger König: verfügen Sie darüber als über Ihr Eigenthum!« (SB XVI, 141)
Abb. 21 : Ludwig II. (1845–1886)
Noch am Abend des 3. Mai fahren Wagner und P fi stermeister mit dem Zug nach München. Am nächsten Tag steht er in der Münchner Residenz vor Ludwig II. Überschwenglich berichtet er seinen Freundinnen Eliza Wille und Mathilde Maier von der Audienz. »Unsre gestrige Zusammenkunft«, schreibt er am 5. Mai an letztere, »war eine grosse, nicht enden-wollende Liebesscene. Er ist vom tiefsten Verständnisse meines Wesens und meines Bedürfnisses. Er bietet mir Alles was ich brauche, zum Leben, zum Scha ff en, zum Aufführen meiner Werke.« (SB XVI, 145) Und Eliza Wille berichtet er am Tag zuvor: »Er will, ich soll immerdar bei ihm bleiben, arbeiten, ausruhen, meine Werke aufführen; er will mir Alles geben, was ich dazu brauche; ich soll die Nibelungen fertig machen, und er will sie aufführen, wie ich will. Ich soll mein unumschränkter Herr sein, nicht Kapellmeister, nichts als ich und sein Freund. […] Alle Noth soll von mir genommen sein, ich soll haben was ich brauche – nur bei ihm soll ich bleiben. […] Ist es nicht unerhört? Kann das anderes als ein Traum sein? –« (SB XVI, 144)
Das »Wunder« war freilich von frappierender Folgerichtigkeit. Ein Jahr zuvor, in seinem Vorwort zur Herausgabe der Ring -Dichtung (1863) hat Wagner den berühmten Appell an einen deutschen Fürsten verö ff entlicht, in seiner Residenz ein Festtheater für die Aufführung der Tetralogie zu ermöglichen. »Wird dieser Fürst sich fi nden?« fragt Wagner da, und er zitiert Fausts Übersetzung des ersten Verses des Johannesevangeliums: »Im Anfang war die Tat.« (GS VI, 281; Faust , V. 1237) Der Fürst hat sich gefunden: »der Satz, welchen Sie in der Vorrede zum Gedichte ›Der Ring des Nibelungen‹ anführen«, schreibt Ludwig II. am 26. November 1864 an Wagner, »soll in das Leben treten; ich rufe aus: ›Im Anfange sei die That!‹« (LW I, 39)
Annette Kolb hat in ihrem auf familiengeschichtliche Erinnerungen gestützten Büchlein König Ludwig II. von Bayern und Richard Wagner das Stuttgarter Wunder vom 3. Mai 1864 in ein »Märchen« übersetzt: »So […] nahm der wunderschöne junge König den funkelnden Ring von der Hand und gebot seinem obersten Kämmerer, nach Richard Wagner zu fahnden, bis er ihn fände, um ihm den Ring zu überreichen. ›Und führt ihn mir eilends zu‹, rief er aus, ›denn ich will ihn sehen. Mein halbes Reich ist er mir wert!‹ Der oberste Kämmerer sah die Ungeduld seines Herrn und erkannte, daß er seines goldenen Schlüssels, seiner sämtlichen Chargen und des Adlerordens zweiter Klasse verlustig gehen würde, wenn er ohne den Mann zurückkehrte. So machte er sich unverzüglich auf den Weg und fuhr kreuz und quer im Lande herum, um ihn zu suchen. Doch wo er auf seine Spur geriet, verwischte sie sich alsbald, wie schnell er sie auch verfolgte. […] In einem Stuttgarter Gasthof gelang es ihm endlich. Hochaufatmend meldete
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